Mit den Augen eines Kindes
mich raten, was hat Mama gesagt?»
Sie hob den Zeigefinger, drohte mir damit und traf sogar fast den Wortlaut meiner Mutter. «Und dass du dir nicht einbildest, du könntest wieder bei uns einziehen, wenn Hanne dir den Koffer vor die Tür stellt. Wir haben dich einmal aufgenommen. Wer sich freiwillig zum zweiten Mal aufs Glatteis begibt, dem ist nicht zu helfen.»
Dann ließ sie sich nach vorne fallen, hauchte mir eine Unzahl von kleinen Küssen auf Kinn, Hals, Mund und Nase.
«Nicht böse sein, Konni. Du hättest mich eben nicht beschwindeln dürfen, du einsamer Wolf. Ich wollte doch nur wissen, wo ich dich finden kann. Du stehst nicht im Telefonbuch, mein Lieber. Die Auskunft konnte mir auch nicht helfen. Gehört sich denn das für einen anständigen Polizisten? Gib mir deine Handynummer, dann haben wir das Problem aus der Welt.» Während sie sprach, rutschte sie langsam tiefer und versuchte ihr Glück noch einmal.
«Ich hab kein Handy», log ich. Es lag im Auto, da hatte es auch am Dienstag und am Freitag gelegen, während ich bei ihr gewesen war. «Du hättest meine Familie aus dem Spiel lassen sollen.»
Sehen konnte ich ihr Gesicht nicht, aber ich fühlte ihr Grinsen auf der Haut. Sie unterbrach ihre Bemühungen für einen Moment. «Lässt deine Familie mich aus dem Spiel, Konni?»
Jetzt sprachen wir also endlich Klartext. Ich nahm es jedenfalls an, blieb aber auf Vorsicht bedacht. «Wie sollten sie, wenn du dich selbst ins Gespräch bringst? Ich hab mir gestern einige Widerwärtigkeiten anhören müssen. Beischlafdiebstahl, etliche Aufenthalte im Knast, Umgang mit lichtscheuem Gesindel und eine Mieterhöhung.»
Wieder lachte sie. «Ist ja köstlich, was die Leute sich so alles einfallen lassen, wenn sie einen nicht mögen. Aber das mit der Mieterhöhung stimmt. Ich habe eben keine soziale Ader. Du kannst sie schon mal auf die nächste vorbereiten, ich will wenigstens den üblichen Satz und orientiere mich am Mietspiegel. Noch liegen sie drunter.»
Dann packte sie fester zu. Und irgendwo im Adergeflecht löste sich ein Knoten. Vielleicht war es auch ihr Lachen, die scheinbare Erleichterung. Die Blutzirkulation kam in Gang.
«Na also», meinte sie. «Man muss den Stier bei den Hörnern packen und den Bullen beim Schwanz, dann funktioniert das auch.»
Es war weit nach acht, als ich das Hotelzimmer wieder verließ. Sie lag noch ausgestreckt auf dem Bett, einigermaßen, aber wie ich wohl kaum völlig zufrieden. Mit einem langen, nachdenklichen Blick schaute sie mir hinterher. Ihre Augen verfolgten mich fast bis zum Stadtrand von Kerpen. Und die ganze Zeit dachte ich, ich hätte sie vielleicht fragen müssen, warum sie bei einem Mann blieb, der sie misshandelte. Ob es schon vorher Ausbrüche von Gewalt gegeben habe, oder ob er erst jetzt sein wahres Gesicht zeige. Irgendeine Art von Anteilnahme heucheln, um zu demonstrieren, dass ich wirklich von nichts eine Ahnung hätte.
Ich fuhr langsam, ständig den Rückspiegel im Blick – und nicht sofort nach Hause. Es spielte keine Rolle mehr, ob Hanne bereits daheim war und auf mich wartete, ob sie sich fragte, was ich gerade trieb, ob sie litt. Ich war sehr wohl imstande, ein Risiko einzugehen, meinte jedoch, so groß sei es gar nicht. Rex konnte mich nicht persönlich kennen. Dass sie ihm mal ein Jugendfoto von mir gezeigt hätte, war nur schwer vorstellbar. Und dass sich ihm mein Gesicht im Moment des Vorbeifahrens eingeprägt haben könnte, schloss ich aus. Meinen Wagen stellte ich wieder weit entfernt ab. Auf die Gefahr hin, dass er ausfallend wurde, wenn ich an den Zaun pinkelte, mehr als ein paar Kraftausdrücke befürchtete ich nicht.
Dass ich, wie man so schön sagt, das Pferd von hinten aufzäumte, war mir durchaus bewusst. Ich hätte runter zu Godberg fahren müssen, um sie ankommen zu sehen. Aber es war wohl so, dass sich ein großes Stück Konrad Metzner gegen den unumstößlichen Beweis ihrer Anwesenheit in seinem Haus wehrte.
Auf Koskas Grundstück hatte sich in den letzten Stunden nichts verändert. Keine Spur von dem roten Golf, immer noch sämtliche Rollläden unten, was nicht bedeutete, dass sich nicht doch jemand im Haus aufhielt. Vielleicht hatte der Kleine Rex abgesetzt und war weitergefahren. Vielleicht hatten sie das Auto auch anderswo abgestellt. Eine geschlagene Stunde arbeitete ich mich unter dem Deckmäntelchen des einsamen Spaziergängers, der von einem menschlichen Bedürfnis überwältigt worden war und nicht unbedingt öffentliches
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