Mit den scharfen Waffen einer Frau
musste ihm versprechen, mich um Sie zu kümmern, wann immer es nötig wäre.“
„Mein kleiner Bruder hat versucht, mich zu beschützen“, flüsterte sie und sah ihn an. Ihr lief eine Träne die Wange hinunter.
„Das ist, was Brüder tun“, sagte er und musste dabei an seine eigenen Brüder denken. Jefferson, Justice und Jesse. Seit er zurückgekehrt war, hatte er sie nicht oft gesehen.
Was ganz allein an ihm gelegen hatte. Denn er hatte sich nach der Einsamkeit der Berge gesehnt. Und seine Brüder hatten Verständnis dafür gezeigt – ganz im Gegensatz zu seinen Schwägerinnen. Jericho musste lächeln, als er sich daran erinnerte, wie sie versucht hatten, ihn unter familiären Vorwänden aus seiner selbst gewählten Isolation herauszuholen.
Er musste auch wieder daran denken, wie er bei den seltenen Familientreffen manchmal von Neid ergriffen worden war. Das hatte ihn natürlich jedes Mal sehr überrascht und beschämt, denn er liebte seine Brüder über alles. Sie waren glücklich mit ihrem Leben – mit ihren Familien. Jericho hingegen hatte sich bereits als Jugendlicher gegen ein konventionelles Familienleben entschieden. Trotzdem fühlte er sich jedes Mal wie ein Außenseiter, wenn er seine Brüder mit ihren Familien sah.
„Sie haben drei Brüder, oder?“
„Ja“, sagte er aus seinen Gedanken gerissen.
„Stehen Sie ihnen nahe?“
„Ja, eigentlich schon“, gab er zu. „Auch wenn wir uns kaum noch sehen, seit jeder seinen eigenen Weg gegangen ist. Jefferson lebt mittlerweile in Irland. Wir treffen uns nicht mehr häufig.“
„Wie schade.“ Sie füllte Suppe in zwei Schalen und reichte ihm eine. „Eine Familie zu haben ist so wichtig. Es ist sogar das Wichtigste.“
Bei ihren Worten musste er daran denken, dass Daisy ihren Bruder verloren hatte und völlig allein war. Sie hatte keine Familie. Auch wenn er seine nicht so häufig sah, konnte er sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen.
Im Schein des Feuers sah Daisy hinreißend aus. Das weiche Haar fiel locker auf ihre Schultern, und das Licht spiegelte sich in ihren bernsteinfarbenen Augen. Da saß sie, aß schweigend ihre Suppe und hatte wahrscheinlich keinen blassen Schimmer, was ihr bloßer Anblick bei ihm auslöste. Er … begehrte sie.
Sofort fielen ihm Sams warnende Worte ein. Vielleicht hatte der alte Mann recht. Vielleicht war Jericho in ihrer Nähe nervös und behandelte sie unfair.
Aber zum Teufel, es war sein Berg. Und wer sagte, dass er fair sein musste?
Am frühen Morgen beobachtete Jericho, wie Daisy versuchte, vorsichtig eine Hängebrücke zu überqueren. Die Frau überraschte ihn in vielerlei Hinsicht. Sie bewies nicht nur Rückgrat, sondern auch Zähigkeit. Scheinbar hatte sie keine Bedenken, alles auszuprobieren. Sie ging ein Risiko ein – wenn sie ihrem Ziel dadurch näherkam.
Auch vor ihrer permanent guten Laune konnte er sich mittlerweile kaum noch verschließen. Es war nicht einfach, den ganzen Tag lang kühl und distanziert zu bleiben, wenn man immer wieder ein wunderbares Lächeln geschenkt bekam. Ja, sie war ganz anders, als er angenommen hatte. Obwohl er immer noch der Meinung war, dass sie nicht hierher gehörte, musste Jericho zugeben, dass sie ihre Sache gut machte.
Mit zusammengekniffenen Augen sah er dabei zu, wie sie sich am Seilgeländer der Brücke festhielt und mit kleinen Schritten voranschritt. Bevor er das Trainingscamp eröffnet hatte, hatte er einige Hindernisse gebaut. Die Hängebrücke gehörte zu seinen persönlichen Favoriten.
Die Brücke, die zwischen zwei hohen Pinien gespannt war, bestand streng genommen nur aus wenigen Seilen und hing etwa zwei Meter über dem Boden. Die Höhe war also zu gering, als dass sich jemand im Fall eines Sturzes lebensgefährlich verletzt hätte. Er hatte schon viele gesehen, die ins Schlingern geraten und heruntergefallen waren. Doch Daisy würde es schaffen. Zwar brauchte sie zweimal so lange wie die meisten, die den Kurs absolviert hatten. Aber vorsichtig zu sein hieß nicht, dass man Fehler machte.
Ihr Pferdeschwanz wippte im Wind, ihre Jeans war verschmutzt. Die Knöchel ihrer Hände waren ganz weiß, da sie das Seil fest umklammerte. Aber sie machte weiter. Er stand unter ihr, beobachtete jeden Schritt und wünschte sich insgeheim, dass sie es schaffen würde.
„Wieso schaukelt es eigentlich so?“, fragte sie, ohne einen Seitenblick zu riskieren. Sie tat, was er ihr geraten hatte, und konzentrierte sich.
„Weil das ein Seil ist“, antwortete er
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