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Mit der Reife wird man immer juenger

Mit der Reife wird man immer juenger

Titel: Mit der Reife wird man immer juenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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deine längst begrabenen Lehrer gekannt und Erinnerungen an sie aufbewahrt hat, die dir verloren gegangen sind. Wir sehen einander an, der Schulkamerad und ich, und jeder sieht am andern nicht nur den weißen Schopf und die müden Augen unter den faltig und etwas starr gewordenen Lidern, er sieht hinter dem Heute das Damals; es sprechen nicht nur zwei alte Männer miteinander, es spricht überdies der Seminarist Otto mit dem Seminaristen Hermann, und jeder sieht unter den vielen darüber geschichteten Jahren noch den vierzehnjährigenKameraden, hört seine Knabenstimme von damals, sieht ihn in der Schulbank sitzen und Gesichter schneiden, sieht ihn Ball oder Wettrennen spielen, mit fliegenden Haaren und blitzenden Augen, sieht auf dem noch kindlichen Gesicht die ersten Morgenlichter der Begeisterung, der Rührung und der Andacht bei frühen Begegnungen mit dem Geist und mit dem Schönen.
    Nebenbei bemerkt: Daß häufig Menschen im Alter den Sinn für Geschichte bekommen, den sie in der Jugend nicht hatten, beruht auf dem Wissen um diese vielen Schichten, die im Lauf mancher Jahrzehnte des Erlebens und Erleidens sich in einem Menschengesicht und einem Menschengeist überdecken. Im Grunde, wenn auch längst nicht immer bewußt, denken alle Alten historisch. Sie sind mit der obersten Schicht, die den Jungen so gut steht, nicht zufrieden. Sie möchten sie nicht missen oder tilgen, aber sie möchten unter ihr auch die Folge jener Erlebens-Schichten wahrnehmen, die der Gegenwart erst ihr volles Gewicht geben.
    Nun, unser erster Abend war ein wirkliches Fest. Es kamen nicht nur Jugenderinnerungen zur Sprache, und es blieb nicht bei Berichten über Leben, Befinden oder kürzlich erfolgten Tod unserer Kameraden von Maulbronn, es kam auch zu Gesprächen und Bekenntnissen allgemeiner Art, über schwäbische und über deutsche Dinge, über das kulturelle Leben dort drüben, über Taten und Leiden bedeutender Zeitgenossen. Doch waren unsere Gespräche vorwiegend heiter, auch von sehr ernsten Sachen wurde mehr spielend und mit der Distanz geredet, welche uns Alten aktuellen Dingen gegenüber natürlich und bekömmlich ist. Doch war es für mich, den Einsiedler, immerhin eine ungewohnte Erregung, man war länger als sonst bei Tische geblieben, hatte drei Stunden geredet und reden gehört, war durch Grüße ausder einstigen Heimat erwärmt und tief ins Gestrüpp der Erinnerungen gelockt worden, und ich fühlte voraus, daß darauf eine schlechte Nacht folgen werde, worin ich nicht irrte. Aber ich war freudig bereit, das schöne Erlebnis auf meine Weise zu bezahlen. Nur war ich am Morgen krank und müde und froh, daß mein Sohn mir so hilfreich und freundlich zur Seite stand. Der Freund war munter und gelassen wie immer, ich hatte ihn niemals krank, nervös, verdrossen oder übermüdet gesehen. Ich hielt mich in den Morgenstunden ganz still, schluckte ein Pulver, und wurde von Mittag an wieder aufnahmefähig. Die Witterung war heiter, und ich konnte den Gast zu einer Rundfahrt um unsern Hügel einladen. Es war mir weder beschämend, noch weckte es Neid in mir, ihn so rüstig, wohl ausgeschlafen, für alles empfänglich neben mir zu sehen, es tat mir im Gegenteil wohl, es umgab diesen lieben Mann eine Aura von Ruhe und antiker Ataraxie, die ich willig und dankbar wahrnahm und auf mich wirken ließ. Wie gut, wie schön und richtig war es doch, daß wir beide so verschieden an Temperament, Konstitution und Gaben waren! Vielmehr: wie schön war es, daß jeder von uns seinem Wesen treu geblieben und gerade das geworden war, was seine Natur hergab, der gelassene, aber unermüdliche Beamte mit der starken Neigung zu Dichtung und Gelehrsamkeit, und der nervöse, allzu leicht ermüdbare und heimlich dennoch zähe Literat. Alles in allem genommen, hatte jeder von uns beiden so ziemlich das erreicht und verwirklicht, was er von sich verlangen durfte und das, was er der Welt schuldig war. Vielleicht war Ottos Leben das glücklichere, aber über »Glück« dachten wir beide nicht viel nach, jedenfalls war es nicht das Ziel unseres Strebens gewesen.
    In einer Hinsicht hatte ich etwas vor ihm voraus. Ich war drei Monate älter als er und hatte das Jubiläum desfünfundsiebzigsten Geburtstags hinter mir, es war bestanden, mein Dank war abgestattet, und vom persönlichen Erscheinen bei den Festlichkeiten war ich von den verständigen Veranstaltern dispensiert geblieben. Er aber, mein wackerer Schwabe, hatte all dies, und ohne solche Dispensation, noch

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