Mit dir an meiner Seite
gewusst, wohin seine Gedanken wanderten!
Der Wind frischte auf, und Steve begann zu frösteln. Ronnie merkte jedoch, dass er noch bleiben wollte. Sein Blick war ruhig auf den Horizont gerichtet. Sie zupfte ihn vorsichtig am Ärmel, doch er klammerte sich noch entschiedener am Geländer fest.
Deshalb gab sie den Versuch auf und wartete, bis er von sich aus bereit war zu gehen. Er zitterte vor Kälte, als er endlich das Geländer losließ. Bedächtig tappten sie zurück zum Auto. Aus dem Augenwinkel konnte Ronnie sehen, dass ihr Vater lächelte.
»Das war schön, nicht wahr?«, sagte Ronnie.
Steve antwortete erst nach ein paar Schritten.
»Ja, sehr schön sogar. Aber am meisten habe ich es genossen, dass ich diesen Augenblick mit dir erleben durfte.«
Zwei Tage später beschloss Ronnie, nun doch den letzten Brief zu lesen. Jedenfalls bald. Bevor ihr Vater starb. Nicht heute Abend, aber - bald., nahm sie sich vor. Es war schon spät, und der Tag war der bisher schlimmste gewesen. Das Medikament schien nicht mehr zu wirken. Tränen liefen ihm über das Gesicht, während sein Körper von fürchterlichen Krämpfen geschüttelt wurde. Ronnie flehte ihn an, er solle sich von ihr ins Krankenhaus bringen lassen, aber er weigerte sich standhaft. »Nein«, stöhnte er. »Noch nicht.«
»Wann dann?« Ronnie war verzweifelt und ebenfalls den Tränen nahe. Er antwortete nicht, sondern hielt den Atem an, in der Hoffnung, dass die Schmerzen vergehen würden. Nach einer Weile schien er sich tatsächlich besser zu fühlen, war aber gleichzeitig extrem geschwächt. Als hätten die Qualen ihm noch ein Stück seiner schwindenden Lebenskraft genommen.
»Ich möchte dich um etwas bitten«, begann er. Seine Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern.
Ronnie küsste seinen Handrücken. »Alles, was du willst.«
»Als man mir die Diagnose mitgeteilt hat, habe ich eine Patientenverfügung unterschrieben. Weißt du, was das ist?« Er musterte sie fragend. »Es bedeutet, dass die Ärzte im Krankenhaus keine unnötigen lebenserhaltenden Maßnahmen durchführen sollen.«
Sie spürte, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte. »Was willst du mir damit sagen?«
»Wenn es so weit ist, musst du mich gehen lassen.«
»Nein!« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Das darfst du nicht sagen.«
Er schaute sie an. Sein Blick war zärtlich, aber unnachgiebig. »Bitte«, flüsterte er. »Ich will es so. Wenn ich ins Krankenhaus gehe, musst du die Unterlagen mitnehmen. Sie liegen in der obersten Schreibtischschublade, in einem braunen Umschlag.«
»Nein ... Dad, bitte!«, rief sie. »Zwing mich nicht zu so etwas. Das kann ich nicht.«
Er blickte ihr fest in die Augen. »Auch nicht, wenn du es für mich tust?«
In der Nacht wimmerte er im Schlaf wieder vor Schmerzen, und sein Atem ging schwer und rasselnd. Ronnie hatte furchtbare Angst. Sie hatte ihm zwar versprochen, dass sie ihm seine letzte Bitte erfüllen würde, aber ob sie das schaffen würde, wusste sie nicht.
Wie konnte sie den Ärzten sagen, sie sollten nichts für ihn tun? Wie konnte sie ihn sterben lassen?
Am Montag holte Pastor Harris sie beide ab und fuhr mit ihnen zur Kirche, damit sie dabei waren, wenn das Fenster eingesetzt wurde. Weil Steve zu schwach war, um zu stehen, nahmen sie einen Klappstuhl für ihn mit. Pastor Harris und Ronnie stützten ihn. Viele Menschen hatten sich versammelt, um den feierlichen Akt mitzuerleben, und sie verfolgten andächtig, wie die Arbeiter das Fenster vorsichtig in die Öffnung einfügten. Es war so spektakulär, wie Ronnie es sich vorgestellt hatte, und nachdem die letzte Stütze angebracht war, jubelten alle. Später sah Ronnie, dass ihr Vater eingenickt war, warm eingehüllt in die dicken Wolldecken, mit denen sie ihn zugedeckt hatte.
Mit Pastor Harris' Hilfe brachte sie ihn nach Hause und ins Bett. Beim Abschied sagte der Pastor zu ihr:
»Dein Dad war glücklich.« Er klang, als wollte er nicht nur Ronnie, sondern auch sich selbst damit trösten.
»Ich weiß.« Sie drückte seine Hand. »Genau das hat er sich gewünscht.«
Steve schlief den Rest des Tages, und als es draußen dunkel wurde, wusste Ronnie auf einmal, dass die Zeit gekommen war, den Brief zu lesen. Wenn sie sich jetzt nicht traute, würde sie vielleicht nie den Mut dazu finden.
Die Beleuchtung in der Küche war gedämpft. Ronnie riss den Umschlag auf und faltete langsam das Blatt auseinander. Die Handschrift war anders als bei den früheren Briefen, nicht mehr so flüssig
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