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Mit dir an meiner Seite

Mit dir an meiner Seite

Titel: Mit dir an meiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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so erschöpft war, dass er nicht aufstehen konnte. Wenn Ronnie ihn dann anschaute, kam ihr immer wieder der Gedanke, dass sie bestimmt noch mehr für ihn tun könnte - aber sie wusste nicht, was.
    »Was ist deine Lieblingsfarbe?«, fragte sie ihn.
    Sie saßen beide am Küchentisch, und Ronnie hatte einen Notizblock vor sich liegen.
    Steve lächelte belustigt. »Das ist die Frage, die du mir stellen wolltest?«
    »Nur die erste. Ich habe noch jede Menge Fragen auf Lager.«
    Steve griff nach der Dose Ensure, die Ronnie ihm hingestellt hatte. Er konnte nur noch Flüssignahrung zu sich nehmen, normales Essen war zu schwer verdaulich. Aber Ronnie wusste ganz genau, dass er auch das nur tat, um ihr eine Freude zu machen, und nicht weil er Appetit hatte.
    »Grün«, sagte er.
    Sie schrieb es auf und las die nächste Frage vor. »Wie alt warst du, als du das erste Mal ein Mädchen geküsst hast?«
    »Willst du das tatsächlich wissen?« Er zog eine Grimasse.
    »Bitte, Dad! Es ist wichtig.«
    Also antwortete er brav, und Ronnie notierte es. Ein Viertel der Fragen, die sie sich ausgedacht hatte, hakten sie bereits am ersten Abend ab, und innerhalb der nächsten Woche beantwortete Steve sie alle. Ronnie verfasste eine Art Protokoll, nicht unbedingt wörtlich, aber sie hoffte, dass sie genügend Einzelheiten vermerkte, um den Rest in Zukunft rekonstruieren zu können. Die Ergebnisse waren spannend und manchmal überraschend, aber insgesamt kam Ronnie zu dem Schluss, dass ihr Vater wirklich der Mann war, den sie im Laufe des Sommers kennengelernt hatte.
    Das war einerseits gut, aber andererseits war es schlecht. Gut, weil sie es erwartet hatte, und schlecht, weil sie der Antwort, nach der sie schon die ganze Zeit suchte, dadurch keinen Schritt näher kam.
     
    Die zweite Novemberwoche brachte den ersten Herbstregen, aber die Bauarbeiten an der Kirche wurden nicht unterbrochen. Man hatte sogar den Eindruck, dass sich das Tempo noch beschleunigte. Wenn Ronnie zur Baustelle lief, konnte ihr Vater sie nicht mehr begleiten, aber sie ging trotzdem jeden Tag hin, weil sie die Fortschritte sehen wollte. Pastor Harris winkte ihr immer freundlich zu, wenn er sie sah, aber er kam nicht mehr zu ihr, um zu plaudern.
    In der kommenden Woche sollte das Buntglasfenster eingesetzt werden. Dann würde Pastor Harris wissen, dass er etwas für ihren Vater getan hatte, was kein anderer für ihn tun konnte, dachte Ronnie. Etwas, das ihrem Vater unglaublich viel bedeutete. Sie freute sich darüber - und betete immer noch um einen Fingerzeig von oben.
     
    Es war ein grauer Novembertag, als ihr Vater plötzlich verkündete, er wolle zum Pier gehen. Wegen der Kälte und wegen der Entfernung machte sich Ronnie Sorgen, aber er gab nicht nach. Er wolle das Meer vom Pier aus sehen, sagte er. Zum letzten Mal. Das war gemeint, aber die Worte sprach er nicht aus.
    Sie zogen ihre warmen Mäntel an, und Ronnie schlang ihrem Vater sogar einen Wollschal um den Hals. Der Wind fegte schon kalt und winterlich, wodurch die gefühlte Kälte viel schlimmer war, als man nach den angegebenen Temperaturen gedacht hätte. Ronnie bestand darauf, dass sie mit dem Auto fuhren. Auf dem verlassenen Parkplatz direkt beim Pier stellte sie Pastor Harris' Wagen ab.
    Um das Ende des Piers zu erreichen, brauchten sie sehr lange. Sie waren unter dem wolkenverhangenen Himmel ganz allein. Durch die Planken aus Beton konnte man die bleigrauen Wellen sehen. Während sie langsam einen Fuß vor den anderen setzten, hakte sich Steve bei Ronnie unter und klammerte sich an ihr fest. Der Wind zerrte an ihren Mänteln.
    Als sie es schließlich geschafft hatten, griff Dad nach dem Geländer, verlor dabei aber fast das Gleichgewicht. Im silbrigen Licht konnte man sehen, wie eingesunken seine Wrangen waren, wie trübe seine Augen. Aber Ronnie spürte trotzdem, dass er sich freute.
    Die gleichmäßige Bewegung des Wassers, der Ozean, der sich bis zum Horizont erstreckte, und der endlose Himmel über ihnen - all dies schien ihrem Vater ein Gefühl heiterer Gelassenheit zu geben. Es gab nichts zu sehen, keine Boote, keine Delfine, keine Surfer - aber er genoss den Frieden und schien zum ersten Mal seit Wochen keine Schmerzen zu haben. Die Wolken wirkten fast wie lebendige Wesen, sie wechselten ständig die Form, während die Wintersonne vergeblich versuchte, durch ihren Schleier zu dringen. Ronnie verfolgte das Schauspiel droben am Himmel mit derselben Hingabe wie ihr Vater. Ach, wie gern hätte sie

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