Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
ich.
Das Erlebnis mit meiner Frau hat mir zwar einen kleinen Dämpfer verpasst, aber ich bin weiterhin wild entschlossen: Ich will nicht nur, dass ich mich an das Gesetz halte, sondern dass es alle anderen auch tun. Also weise ich jeden auf seine Fehler hin, ob er es hören will oder nicht. Und wenn er es nicht hören will, dann rufe ich eben bei der Polizei an. Innerhalb von sechs Tagen habe ich mich fünf Mal bei der Polizei beschwert oder andere Menschen angezeigt: einen wegen einer weggeworfenen Kippe, einen anderen, weil er bei Rot über die Straße spaziert ist. Ich habe einen Taxifahrer verpfiffen, weil ich beobachtet habe, wie er ein Auto angefahren hat. Ich habe versucht, eine Frau anzuzeigen, die mir im Auto den Vogel gezeigt hat – und habe vom Polizisten mitgeteilt bekommen, dass diese Anzeige keine Aussicht auf Erfolg hat, wenn ich mir nicht noch ein Vergehen im Straßenverkehr ausdenken würde. Ich habe auch zwei junge Männer angezeigt, die vor unserer Haustür Kippen und anderen Müll hingeworfen haben.
Ich bin eine schreckliche Nervensäge geworden.
Einen Höhepunkt meines Querulantentums erlebe ich auf einer Feier, die mein Vater ausrichtet. Seit etwa zwei Stunden geht mir der Freund meiner Nichte auf die Nerven. Er sieht aus wie der unattraktive Bruder des Scarecrow-Darstellers aus den Batman-Filmen, hält sich aber für eine Mischung aus Brad Pitt, Stephen Hawking und Muhammad Ali. Er hat sich nur noch nicht entschieden, ob er der Schönste, der Schlaueste oder einfach nur der Größte sein möchte. Wahrscheinlich alles davon.
Er ist ein Steigerer: Diese Typen haben nicht nur die Eigenschaft, für sich selbst auf jedem Gebiet der menschlichen Existenz ein Experte zu sein – sie kennen sich auf dem Aktienmarkt ebenso aus wie in Quantenphysik, Biomechanik und Gastronomie. Sie müssen deshalb die Leistungen anderer überbieten. Schafft man selbst 100 Kilo beim Bankdrücken, behaupten diese Menschen sogleich, vergangene Woche 120 Kilogramm gedrückt zu haben. Das geht bis ins kleinste Detail – und bis zur größten Unsinnigkeit: Wenn man erzählt, dass man beim Kartenspielen einen Tarif von zehn Cent pro Spiel verwendet, dann guckt der Steigerer verächtlich und merkt an, dass er selbst nie unter 50 Cent Einsatz spielen würde.
Es ist Steigern um des Steigerns willen.
Jeder kennt so einen Steigerer.
Steigerer darf man nicht verwechseln mit menschlichen Teflonpfannen. Das sind die, die bei jeder Kritik entweder anmerken: »Selber!« Oder sie kontern mit einer gleichwertigen Beleidigung, auf ein »Blödi« folgt ein »Dummi«. Kritik prallt ab – oder geht direkt zum Sender zurück.
Steigerer sind anders. Wenn man einem Steigerer sagt, er habe so geparkt, dass da noch eine Herde Kamele plus Treiber Platz hätten, dann antwortet er: »Nein, noch fünf Kamelherden!«
Steigerer sind menschliche Tauben, die nutzlos herumlaufen und grundlos andere Menschen vollscheißen. Wenn ich zwei Stunden mit so einem Menschen verbringen muss, bin ich schlecht gelaunt. Ich bestelle mir deshalb einen Ramazzotti.
»Ich will auch einen«, sagt die jüngere Nichte forsch – und ich blicke erstaunt hinüber. Wie selbstverständlich fügt sie hinzu: »Mit Eis und Zitrone!«
Das Mädchen ist 14 Jahre alt.
»Was«, sage ich erstaunt, »was willst du denn mit Schnaps? Du bist erst 14!«
Sie sagt: »Na und?«
Der Steigerer sagt, Sie ahnen es womöglich: »Ich habe meinen ersten Schnaps mit 13 getrunken, kein Problem! Sieh an, was aus mir geworden ist.« Ich bin versucht, diesen Satz zu verwenden für eine landesweite Kampagne gegen Alkohol bei Minderjährigen.
Was würde er sagen, wenn ich nun anmerkte, dass ich bei meinem ersten Ramazzotti zwölf Jahre alt gewesen sei? Richtig: »Ach ja, jetzt erinnere ich mich: Ramazzotti, den gab’s damals in der Theatergruppe. Da war ich elf!«
Die Bedienung ist schon wieder gegangen, ein wenig später bringt sie die Getränke.
»Dir ist schon klar, dass ich ein Jahr lang gesetzestreu lebe. Außerdem sehe ich absolut nicht ein, warum ein 14-jähriges Mädchen nach dem Essen einen Schnaps trinken muss.«
Sie sieht mich belustigt an, dann stößt sie mit ihrem Vater an, der einfach nur dasitzt und grinst.
Ich würde mit dem Vater nun gerne darüber streiten, dass er es offensichtlich ganz toll findet, dass seine minderjährige Tochter Schnaps trinkt. Auf der anderen Seite geht mich das überhaupt nichts an.
Wissen gegen den Knast
In Gaststätten ist nicht nur
Weitere Kostenlose Bücher