Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
stocksauer! Ich bin aus dem Schlafzimmer getorkelt, der große Zeiger der Uhr hängt lustlos nach unten und wird in acht Minuten den kleinen Zeiger eingeholt haben. Ich bin aufgewacht, weil in meinem Traum der Kameramann einen epileptischen Anfall hatte und der Tonmeister einen Presslufthammer zugeschaltet hat.
Ich schlurfe ins Wohnzimmer auf der Suche nach dem Grund für Epilepsie und Presslufthammer. Ich schiebe die Tür auf – und bin mir sicher, über Nacht aus der Realität ins Privatfernsehen gesaugt worden zu sein. Es bietet sich eine Mischung aus Ihr neues Zuhause , Hör mal, wer da hämmert und Two and a Half Men .
Mein Schwiegervater steht an einer Wand und bohrt. Als er mich sieht, hört er kurz auf und grinst. Er ist angezogen wie Al Borland und hat auch einen ähnlich prächtigen Bart, dazu ist er als Handwerker mindestens ebenso kompetent wie der Assistent von Tim Taylor. Von den Sprüchen her allerdings ähnelt er eher Tim, weshalb er sagt: »Guck mal, Hanni, dein Mann sieht aus, als hätte ich gerade in seinem Kopf herumgebohrt.« Er lacht – und ich fasse an meinen Kopf, um zu sehen, ob da nicht doch irgendwo ein Loch ist.
Neben meinem Schwiegervater steht mein Sohn, auf seinem Kopf hat er eine gelbe Bob-der-Baumeister-Brille; er drückt seinen Spielzeugbohrer gegen die Wand und brüllt: »Können wir das schaffen? Ja, wir schaffen das!« Dann schnappt er sich einen Hammer und prügelt damit auf die Wand ein, die Wohnzimmer und Schlafzimmer trennt.
Am Tisch sitzen meine Frau und meine Schwiegermutter und unterhalten sich. Wenn die beiden miteinander reden, dann tun sie das eine halbe Oktave zu hoch, ein paar Dezibel zu laut und eineinhalb Wörter pro Sekunde zu schnell. Ich verstehe nur jedes dritte Wort, weshalb ich mir den Sinn des Gesprächs aus den Worten »Regale«, »bohren«, »Baumarkt«, »mehr Nägel« und »noch lange nicht fertig« zusammenreimen muss.
Ich stehe in Boxershorts und Bademantel am Eingang des Wohnzimmers, als mein Sohn mich entdeckt, die Brille nach oben schiebt und brüllt: »Papiiiii! Wir wollen bohren!« Dann packt er den Spielzeugbohrer und setzt an. Das Ding ist lauter als ein richtiger Bohrer.
Meine Frau grinst zufrieden, sie hat auf diesen Moment lange gewartet: Sie hat ihren Vater eingeladen, damit der in unserer Wohnung ungefähr 50 Regale aufhängt, in denen sie dann alles unterbringen kann, was sie im Internet bestellt oder auf einer ihrer ausgedehnten Shoppingtouren eingekauft hat. Von meinen handwerklichen Fähigkeiten hält sie ungefähr so viel wie Christian Wulff von ungünstigen Zinsen bei einem Kredit für sein Haus – weil Hanni weiß, dass ich spätestens nach dem dritten Regal aufgegeben und eine Sitzung des Familienrats einberufen hätte. Mein Antrag auf weniger Regale und mehr Ruhe wäre abgeschmettert worden mit der Begründung, dass ich im Familienausschuss zwar über ein Stimmrecht von 47 Prozent verfüge, meine Frau jedoch auch – und dass sie dazu über Finns sechs Prozent bestimmen darf, bis er alt genug ist, selbst abzustimmen. Finn bekommt pro Lebensjahr zwei Prozent Stimmrecht, sodass er an seinem 16. Geburtstag über genauso viele Anteile verfügt wie Hanni und ich.
Meine Frau erklärt mir, dass es sich nicht nur um ihre Regale und Schränke handelt, sondern vor allem um meine. Sie deutet dabei auf ein Brett, auf dem meine PlayStation steht. Das ist ungefähr so, als hätte sie mich mit einer Beruhigungspistole niedergeschossen, ich würde dann angekettet bei einem Mädchenabend aufwachen – und Hanni würde behaupten, dass es meine Geburtstagsparty sei, weil doch auch die Freundin meines besten Freunds da sei. Hanni hat mich nicht gefragt, sie hat beschlossen – und sie hat den Zeitvorteil genutzt, damit ich mich weder beschweren noch einen Notplan entwickeln konnte. Meine Frau hat die Formel für eine erfolgreiche Ehe gefunden: Versuch nicht, den anderen zu ändern! Lern ihn kennen und schlag ihn mit den eigenen Waffen!
Hanni nennt das, was in unserer Wohnung passiert, »dringend notwendige Verbesserungen«. Ich nenne es Ruhestörung.
Heute ist ein Feiertag und der erste Tag seit Wochen, an dem ich ausschlafen kann. Doch ich darf nicht, weil in unserer Wohnung gebohrt wird, als wären Bob, Wendy, Mixi und Buddel hier eingezogen.
Ich könnte argumentieren, aber das hätte ungefähr so viel Aussicht auf Erfolg wie der Versuch Wulffs, sich aus der Kreditaffäre herauszureden. Ich könnte drohen, was allerdings noch weniger
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