Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
die
Abgabe von hartem Alkohol an
Jugendliche verboten, auch
Tabak darf nicht an Menschen
unter 18 Jahren verkauft werden.
(§ 10 JuSchG)
»Weißt du was? Ich finde es unverantwortlich, dass du deiner Tochter Schnaps gibst. Ich finde es zwar auch unmöglich von der Bedienung, dass sie den Ramazotti gebracht hat, denn dadurch macht die sich strafbar. Aber dass du das auch noch unterstützt, finde ich höchst fragwürdig.«
Mein Schwager gehört zur Spezies der Opportunisten – was auf Familienfeiern bedeutet, dass er immer mit dem lacht, der gerade einen Witz über den anderen gemacht hat. Wenn der Steigerer mich beleidigt, dann lacht er mit dem Steigerer – wenn es umgekehrt ist, dann lacht er mit mir. Nach Fußballspielen klatscht er gerne mit den Siegern ab. Natürlich ist so ein Mensch FC -Bayern-Fan.
Ich sage: »Gib ihr bitte keinen Alkohol!«
So viel zu meinem Plan, der coolste Onkel der Welt zu werden.
Meine Nichte sagt: »Was willst du denn? Wann hast du dein erstes Bier getrunken?«
Ich will auf diese Frage nicht antworten – vor allem deshalb nicht, weil ich vom Steigerer nicht hören will, dass er bei seinem ersten Bier erst 13 Jahre alt gewesen sei.
»Es geht nicht um mich, sondern um dich – und so wie ich dich hier sehe, nehme ich mal an, dass dies nicht dein erster Schnaps ist.«
»Na und, bloß weil du alt bist und nichts mehr verträgst!«
Das ist ein Tiefschlag für mein Third-Life-Crisis-Ego – und sofort setzt der Steigerer zum nächsten an: »Ich bin genauso alt wie du und würde dich unter den Tisch trinken.«
Normalerweise bin ich für jeden Wettkampf zu haben – an diesem Tag aber nicht. Nicht mit einem Steigerer. Am Ende würde ich verlieren, und eine Niederlage gegen einen Steigerer macht nur die Menschen nicht wütend, denen es auch nichts ausmacht, einen Boxkampf gegen ein Kleinkind zu verlieren.
Ich stecke in einem moralischen Dilemma: Das Gesetz verbietet meiner Nichte den Schnaps – und auch ich finde, dass es für ein 14-jähriges Mädchen nicht selbstverständlich sein sollte, harten Alkohol zu trinken. Ich habe nichts dagegen, wenn ein Teenager hin und wieder mal trinkt, aber zum Ramazzotti greifen wie ein Kleinkind zur Morgenflasche macht mir dann doch Sorgen. Vor allem, weil ich glaube, dass es für das Trinken einen Anlass gibt, der deutlich tiefer liegt als die Lust auf Alkohol.
Ich will nicht bei der Polizei anrufen, sondern erinnere mich an die Worte meines Vaters: »Früher haben wir die Dinge noch selbst geregelt.«
Ich nehme den Ramazzotti und kippe ihn in meinen Mund.
Ich sage zu meiner Nichte: »Ich weiß schon, dass du mich jetzt für einen Arsch hältst.«
Komischerweise sagt der Steigerer nun nicht, dass er ein noch viel größerer Arsch ist – obwohl das zum ersten Mal an diesem Tag die Wahrheit wäre.
»Ich trinke jetzt einfach jeden Schnaps, den du dir bestellst!«
Bei 0,3 Promille stelle ich fest: Ich bin nicht die einzige Nervensäge in unserer Gesellschaft.
Meine Gedanken bei 0,6 Promille: Wir sind alle auf irgendeine Weise nervige Querulanten, wenn es darum geht, bei anderen Menschen Fehler zu suchen.
Bei 1,0 Promille halte ich mich kurz für unbesiegbar, dann denke ich: Wir sind keine Solidargemeinschaft mehr, wir sind eine Zwangsgemeinschaft, in der jeder versucht, seinen persönlichen Vorteil zu steigern und bestenfalls noch den Nachteil des anderen zu maximieren. Denn, und das belegen Studien, es geht uns besser, wenn es den anderen schlecht geht.
Bei 1,6 Promille schiele ich, dann fordere ich den Steigerer zu einem Boxkampf heraus, zu dem er bis heute nicht angetreten ist. Bei 1,9 Promille ist die Familienfeier vorbei, meine Nichte hat keinen einzigen Schnaps getrunken, ich habe den Steigerer noch ein paar Mal mit Superlativen belegt – ein Steigerer kann damit nur schwer umgehen, weil er dann nicht mehr steigern kann – und halte mich nun wie jeder betrunkene Mann für absolut unwiderstehlich.
Am nächsten Morgen jedoch merke ich zwei Dinge: Mein Körper ist zu alt für diese Menge Alkohol. Und kein Mensch mag Querulanten.
Noch schlimmer: Meine Naseweisheit führt sogar dazu, dass ich das Gesetz breche. Ich bin mit Freunden in der Tschechischen Republik, um Paintball zu spielen. Auf dem Heimweg werden wir kontrolliert, weil wir im Dienstwagen meines Freundes offenbar ins Raster der Beamten fallen: »Vier junge Menschen, BMW , auswärtiges Kennzeichen«, sagt einer. Übersetzt: So Typen wie ihr importiert normalerweise Crystal
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