Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
Haushalten mit Lebensmitteln umgegangen wird. Die Erkenntnis: Zehn Prozent der gekauften Lebensmittel werden weggeworfen, ohne dass jemand die Verpackung geöffnet hat. Bei weiteren zehn Prozent wird lediglich eine Kostprobe – etwa eine Scheibe Wurst – verzehrt und der Rest wenig später in die Tonne geworfen, weil man ihn für ungenießbar hält.
Den Wert der vermeidbaren Lebensmittelabfälle beziffert das Bundesverbraucherministerium auf 235 Euro. Pro Kopf. In meiner Familie werden also pro Jahr Lebensmittel im Wert von 705 Euro weggeworfen, auf Deutschland hochgerechnet sind das bis zu 21,6 Milliarden Euro, die da einfach verschwendet werden.
Bei der Vorstellung der Studie im März 2012 sagte Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner: »Wir leben in einer Überfluss- und Wegwerfgesellschaft. In Deutschland und Europa wird viel zu viel weggeworfen, wertlos gemacht, vernichtet. Jeder von uns kann seinen Beitrag leisten, die Verschwendung wertvoller Ressourcen zu stoppen.« Schön dabei: Aigner forderte nicht nur die Bürger und Supermärkte auf, endlich die Verschwendung zu stoppen, sondern fasste sich auch an die eigene Nase. Es seien zwar schon zahlreiche Vermarktungsnormen abgeschafft worden, aber »hier dürfen wir nicht stehen bleiben. Irgendwelche Normen dürfen kein Vorwand sein, Agrarprodukte unterzupflügen oder einfach wegzuwerfen«.
Wissen für Nichtjuristen
Ein Mülltaucher kann nicht wegen
Diebstahls angezeigt werden, weil
der Eigentümer die Sachen gar
nicht mehr haben will. Eine der-
artige Anzeige wäre Rechtsmiss-
brauch laut § 226 BGB. Möglich
ist nur eine Anzeige wegen Haus-
friedensbruchs.
Mittlerweile gibt es gar ein Hobby, das sich Containern oder Mülltauchen oder Dumpstern nennt. Politische Aktivisten wollen damit ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft setzen, auch viele Bedürftige haben sich angeschlossen. Mülltaucher suchen in den Containern von Supermärkten nach Lebensmitteln, die noch genießbar sind. Dann treffen sie sich und tauschen untereinander aus. Natürlich ist das Dumpstern hierzulande nicht erlaubt. Die meisten Verfahren werden jedoch wegen Geringfügigkeit oder gegen kleine Auflagen eingestellt.
Hierzulande bemüht sich die Linkspartei um eine Legalisierung des Containerns, in Österreich ist es erlaubt, solange keine Schlösser aufgebrochen werden. In der Schweiz gilt die Regel: Was weggeworfen wird, gehört niemandem mehr. Wer also nicht über einen Zaun steigt oder Türen und Schlösser aufbricht, der darf containern. In Schweden dagegen vergiftete eine Lebensmittelkette die weggeworfenen Waren mit Reinigungsmittel, um Obdachlose abzuschrecken.
Finn und ich beschließen, unsere Prüfung zu beenden. Wir kaufen noch ein Überraschungsei und eine Zeitschrift. Finn hat die Verpackung aufgerissen, weshalb ich ihm erst einmal mitgeteilt habe, dass ich deshalb noch lange nicht zum Kauf verpflichtet bin. Unsere Lieblingsverkäuferin belauscht unsere Unterhaltung und sagt: »Aber die Verpackung müssen Sie bezahlen – und Sie gehen heim in der Gewissheit, dass Ihr Sohn traurig ist und wir das Heft wohl wegwerfen müssen.«
Schon liegt das Heft auf dem Band der Kasse. Supermarktverkäuferinnen sind ebenso gerissen wie meine Mutter.
Meine Frau ist begeistert, als sie von unserem Plan hört, etwas gegen die Verschwendung zu tun. Sie motzt schon seit Monaten, dass wir viel zu viele Sachen wegwerfen würden und dass wir bewusster einkaufen sollen. Sie entwickelt deshalb ein System: Wer Lebensmittel kauft, die nicht verbraucht und deshalb weggeworfen werden, muss eine kleine Strafe bezahlen oder Aufgaben im Haushalt übernehmen.
Innerhalb von sechs Monaten haben wir Hannis Schätzungen zufolge unseren Lebensmittelmüll um 60 Prozent reduziert.
Absolut vorbildlich dabei ist übrigens Finn. Er kauft ausschließlich Überraschungseier und Waffeln – und es ist noch kein einziges Mal passiert, dass wir etwas hätten wegwerfen müssen, weil es zu lange im Süßigkeitenfach herumgelegen wäre.
Kapitel 14
Gesetzesbrecher II: Der Drogendealer
New Journalism ist ein Reportagestil, bei dem der Autor sich selbst zum Teil der Berichterstattung macht. Truman Capote hat damit angefangen, bekannt wurde dieser Stil durch Hunter S. Thompson und seine Werke über die Hell’s Angels. Er lebte ein Jahr lang bei der Motorradgang, er wurde ein Teil von ihr, dann schrieb er darüber. Thompson wurde heftig kritisiert, rechtfertigte seinen Stil jedoch damit, dass es so etwas wie
Weitere Kostenlose Bücher