Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
Bedenken kaufen können. Als wir ein Exemplar aufschneiden, um zu überprüfen, ob das Fruchtfleisch auch vollkommen gesund ist, geht eine Kundin an uns vorbei und sieht uns verwundert an.
«Ich prüfe nur die Qualität, ich will meinen Sohn lehren, nur frische Früchte zu kaufen.«
Finn hilft mir: »Weißt du, Kiwi kann man nur essen, wenn sie gut schmeckt. Guck mal, das ist eine gute Kiwi. Aber die Knubbel schmecken nicht!«
Die Frau lacht und geht weiter.
Finn fordert als Belohnung ein Überraschungsei und ist der Meinung, dass er während der weiteren Überprüfung dringend seine Schutzbrille tragen sollte.
Wir schauen zu den Paprikas, schließlich muss eine »eckig abgestumpfte Paprika« mindestens vier Zentimeter groß sein, eine »platte Gemüsepaprika« gar fünf Zentimeter. Wir sehen uns auch bei den Bananen um. Für die gibt es komischerweise keine Verordnung, die besagt, wie krumm sie sein dürfen oder müssen – aber es ist festgelegt, dass sie mindestens 14 Zentimeter lang und 27 Millimeter dick sein müssen. Finn und ich messen penibel nach, finden jedoch kein einziges Mängelexemplar. Wir sehen auch einige Pigmente bei Trauben, doch die sind von der Sonne hervorgerufen und damit zulässig. Wir überprüfen auch diesen Satz: »Die Beeren müssen prall sein, fest am Stiel sitzen, in gleichmäßigen Abständen in der Traube angeordnet und praktisch überall mit ihrem Duftfilm bedeckt sein.« Finn riecht an den Beeren und findet, dass alles in Ordnung ist. Wir legen auch 50 Äpfel einzeln auf die Waage, um zu kontrollieren, ob auch jeder mindestens 90 Gramm wiegt.
Wir erwischen einen leichteren und heben ihn sogleich auf.
Wir prüfen, ob die Erdbeeren frei von Erde sind und ob die kleinen weißen Stellen ein Zehntel der Fruchtoberfläche nicht überschreiten. Zwei Exemplare empfinden wir als mangelhaft, auch bei drei Nektarinen finden wir leichte Druckstellen von über einem Quadratzentimeter Gesamtfläche. Auch bei zwei Zitronen konstatieren wir Schalenfehler.
Wir übergeben alle Mängelexemplare der Verkäuferin.
»Oh, da haben Sie aber viele schlechte Früchte erwischt, die nehme ich sofort mit und werfe sie weg.«
Wir protestieren: »Aber die kann man doch noch essen! Sie dürfen sie nur nicht als Klasse I verkaufen! Aber zu Klasse II kann man sie doch einfach legen, oder? Uns würde schon ein Rabatt genügen. Aber doch nicht wegwerfen!«
»Nein, wir haben Richtlinien und Vorschriften. Die Erdbeeren kommen weg. Nochmals Entschuldigung und vielen Dank, dass Sie uns darauf hingewiesen haben.«
Das wollte ich nun nicht.
Doch anscheinend ist das, was da gerade im Supermarkt passiert, ganz normal in Deutschland und anderen EU -Ländern: Die Normen sollen Verpackung und Transport erleichtern und für Qualitätsstandards sorgen – doch was nicht passt, wird nicht passend gemacht oder woanders verkauft. Es wird einfach weggeworfen, obwohl es frisch und genießbar ist.
Elf Millionen Tonnen Nahrungsmittel landen deshalb pro Jahr in Deutschland in der Mülltonne. Der Filmemacher Valentin Thurn hat darüber eine Dokumentation gedreht, die Frisch auf den Müll heißt und in der ARD ausgestrahlt wurde. Viele Lebensmittel kommen aufgrund von EU -Normen erst gar nicht in den Handel, bei Kartoffeln sind es etwa bis zu 40 Prozent, die direkt im Abfall landen. »Aussortiert werden alle Kartoffeln, die zu klein, zu groß oder verkatscht sind. Sie sind absolut essbar, aber der Bauer muss sie wegwerfen oder zu Tierfutter verarbeiten.«
Dazu würden die Verantwortlichen in Supermärkten peinlich genau darauf achten, dass die Regale immer voll sind und frisch aussehen. Klar, wer will schon beim Einkaufen eine zermatschte Tomate sehen oder eine Erdbeere, die nicht rot schimmert, sondern noch ein bisschen Erde am Fruchtfleisch kleben hat? Bernhard Walter von »Brot für die Welt« glaubt, dass dadurch Paranoia in den Supermärkten herrschen würde: »Alles, was nicht der Norm entspricht, landet im Müll. Die Ware muss immer perfekt aussehen, das Angebot an Lebensmitteln muss immer riesengroß sein.« Deshalb kämen Äpfel mit kleinen Rissen sofort in die Tonne. Auch das abgelaufene Mindesthaltbarkeitsdatum spielt eine Rolle. In diesem Fall werden die Produkte sofort weggeworfen, obwohl sie noch genießbar wären.
Doch nicht nur EU und Supermärkte sind schuld an der gigantischen Verschwendung, auch wir selbst. Die Universität Wien hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, in der untersucht wird, wie in
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