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Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Titel: Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schmieder
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journalistische Distanz gar nicht geben könne. Er radikalisierte den Subjektivismus von René Descartes oder Immanuel Kant und trieb diese literarische Form nach dem kommerziellen Erfolg von Hell’s Angels immer mehr auf die Spitze.
    Wie ist es, wenn man selbst Teil wird einer Geschichte über Menschen, die man abgrundtief hasst? Wie ist es, wenn man einen Drogendealer porträtieren muss?
    Die zerstören wissentlich das Leben anderer Menschen und machen damit Geld. Sie bewegen sich nicht in einer juristischen Grauzone oder einem moralischen Dilemma. Diese Menschen sind Verbrecher. Sie bringen Leid und Elend zu anderen Menschen.
    Den Kontakt hat mir ein Kollege vermittelt, der vor ein paar Jahren einmal eine Geschichte über Drogen in Deutschland gemacht hat. Eine Telefonnummer ist alles, was ich bekomme – und ich habe keine Ahnung, was mich da erwartet: ein Typ im Anzug, der wie ein Geschäftsmann seine Waren vertickt – oder doch eher ein Hippie wie der Charakter aus Pulp Fiction , der John Travolta mit »zwei Gramm Wahnsinn« versorgt.
    Wir treffen uns an einem Samstagabend, weil er mir am Telefon versichert hat, dass an diesem Tag ein bisschen was los sei – und er dennoch genügend Zeit habe, um sich zu unterhalten. Er wohnt in einer Gegend, in der man eher reiche Familien vermuten würde. Er sieht aus wie eine Mischung aus Popstar und Profifußballer – nur eben zehn Jahre nach der Karriere. Der Mann ist eine Kreuzung aus Stefan Effenberg und Axl Rose.
    Er trägt Worn-Out-Jeans, die ein wenig eng sitzen. Er kann sich das allerdings leisten, weil er die Hüften eines durchtrainierten Abiturienten hat. Über den schmalen, aber doch definierten Schultern hängt ein T-Shirt aus der Adidas-Star-Wars-Kollektion, auf dem Darth Vader abgebildet ist, wie er vor seinen Fans die Arme ausbreitet. Dazu Sneakers, Kettchen um den Hals und beide Handgelenke. Tattoo am Unterarm. Drei Ringe, keiner davon am Ringfinger. Er trägt die 2012er-Version des Mario-Gomez-Haarschnitts, nur dass sein Haar schon ein wenig dünn ist und die Farbe eines Fünf-Cent-Stücks hat. Seine Haut sieht aus, als hätte man dunkelbraunes Leder über die Knochen gespannt, sie ist so faltig wie die Innenseite einer Walnuss.
    Wissen gegen den Knast
    Der Konsum auch harter Drogen
wie Heroin und Kokain ist in
Deutschland erlaubt. Strafbar ist,
was man sonst mit Drogen tun
kann: Herstellung, Handel, Er-
werb, Besitz, Anbau, Einfuhr und
Ausfuhr. Das macht es quasi un-
möglich, Drogen zu konsumieren,
ohne eine Straftat zu begehen.
(§29 Betäubungsmittelgesetz)
    Ich muss ihm High Five geben, er sagt: »Komm rein, Alter!« Dann dreht er sich um und geht in sein Wohnzimmer. Seine Knie federn beim Gehen, er wirkt ein wenig, als würde er tanzen. Hin und wieder zuckt er, als würde ihm jemand auf die Schulter tippen. Er hebt seine Schulter, dreht den Kopf nach rechts, und nachdem er festgestellt hat, dass niemand was von ihm möchte, sieht er wieder nach vorne, als wäre nichts gewesen.
    Seine Wohnung sieht aus, wie man sich eine WG von Stefan Effenberg und Axl Rose vorstellen würde: Poster von halbnackten und ganz nackten Frauen an der Wand. Couch. Tisch. Fernseher. Bierkiste. Kondome. Volle Aschenbecher. Auf dem Tisch liegen Eintrittsbändchen verschiedener Diskotheken und Konzerte.
    Er heißt Toby, seine Kunden nennen ihn Toby, seine Freunde nennen ihn Toby – und ich soll ihn auch Toby nennen. Er hat also nicht einmal einen abgefahrenen Spitznamen wie etwa »White Mike« aus dem Roman Twelve von Nick McDonald. »Warum sollte ich?«, sagt er, als er sich eine Zigarette anzündet und mir ein Bier hinhält.
    Die Realität ist kein Film und kein Roman.
    Er besteht darauf, dass wir anstoßen, dann macht er sich über die Dose her wie ein Geier, der ein Stück Aas auf der Straße findet. Die Zigarette raucht er in weniger als vier Zügen, dann drückt er sie aus und steckt sich eine neue an. Er schaltet seine Stereoanlage ein, wir hören House-Musik, nebenbei läuft im Fernseher die Zusammenfassung der Fußballspiele des Nachmittags. Immer wieder klingelt das Telefon, Toby antwortet und sagt meist nur »Ja« oder »Geht klar«. Hin und wieder sagt er: »Geht nicht.« Nach jedem Telefonat dreht er sich zu mir um und sagt: »Kundschaft.« Dann schreibt er etwas in seinen Notizblock.
    Wenn er glaubt, dass ich den Namen des Kunden kennen müsste, sagt er, wer ihn angerufen oder eine Nachricht geschickt hat. Es sind offensichtlich Menschen, die in Tobys Weltbild

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