Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
gesagt werden, nicht nur eine heilige Frau, sondern auch ein gerissenes Luder. Schon vor mehr als 20 Jahren wandte sie bei ihren Kindern das Prinzip des Drohens und Bestechens an. Weil sie eine heilige Frau ist, hat sie diese Vorgehensweise bei der christlichen Kirche abgeguckt, die ebenfalls recht erfolgreich mit Androhen von Höllenfeuer und Aussicht auf Erlösung operiert. Sie ist deshalb gerissen, weil sie mich jahrelang so erzogen hat: War ich beim Einkaufen lieb, so bekam ich ein Überraschungsei – ansonsten gab es trockenes Vollkornbrot. Ähnliches galt für Kaffeekränzchen und Sonntagsspaziergang: Bei guter Führung durfte ich beides ausfallen lassen, ansonsten musste ich mit.
Das führte dazu, dass ich nun über eine erstaunliche Happy-Hippo-Sammlung verfüge, mir beim Anblick von Vollkornbrot schlecht wird und ich Angst vor Spaziergängen, Kaffeekränzchen und Supermärkten habe. Supermärkte sind für mich Orte, an denen der Mensch Grundrechte auf- und den Verstand abgeben muss. Am Eingang bekommt man einen eisernen Wagen, den man durch enge Gänge schiebt und wobei man Musik hören muss, die in pornografischen Filmen der 70er-Jahre immer dann eingeblendet wird, wenn sich der Mann mit dem überdimensionalen Schnauzer und die Frau mit der überschminkten Cellulite zum ersten Mal küssen. Es gilt noch nicht einmal »Rechts vor links«, weshalb man ständig angestoßen wird. Alle im Raum sind schlecht gelaunt, unfreundlich und hektisch. Wer sich der Kasse nähert, hört von dort schon unheilvolles Piepen, das jede Verkäuferin in den Wahnsinn treiben muss.
Ich fühle mich in Supermärkten unwohl, habe allerdings herausgefunden, dass man dort auch Spaß haben kann, wenn man ein paar einfache Regeln beachtet beziehungsweise Gesetze kennt.
Wissen für Nichtjuristen
Das Aufreißen einer Verpackung
verpflichtet den Kunden noch nicht
zum Kauf. Er muss nur für den
entstandenen Schaden aufkom-
men. (§§ 307, 309, 433 BGB)
Meine Frau schickt ihre beiden Männer an einem Samstagvormittag zum Einkaufen – wir sollen nur Getränke und Mittagessen besorgen. Wir nicken eifrig und machen uns auf den Weg. Hanni wundert sich kurz, warum ich ein elektronisches Gerät, ein Messer und eine Nadel dabeihabe und zudem meinem Sohn erlaube, Maßband und Meterstab einzustecken und seine Bob-der-Baumeister-Brille aufzusetzen, aber sie sagt nichts.
Wir betreten den Supermarkt – und bei meinem Sohn findet die übliche Metamorphose statt. Aus einem hyperaktiven Dreijährigen wird innerhalb von 0,2 Sekunden das Säbelzahneichhörnchen Scrat aus den Ice Age -Filmen. Er will nur keine Eicheln, sondern Süßigkeiten. Wenn er ein Überraschungsei entdeckt, spurtet er los und kann nur durch einarmiges Hochheben am Krawittel aufgehalten werden, wobei seine Füße weiter in Bewegung bleiben und die Hände immer nach vorne schnellen, um sich eines der Eier zu sichern. Wenn er eines bekommt, behandelt er es sorgsam. Er verteidigt es knurrend gegen alle anderen Kunden, die dem Ei zu nahe kommen – und es würde mich nicht wundern, wenn er wie Scrat durch den Supermarkt laufen und das Ei irgendwann in den Boden rammen und damit eine Verschiebung der Kontinentalplatten verursachen würde.
Aber am Ende teilt er immer mit mir.
Heute wollen wir zwei Übel in ein lustiges Abenteuer verwandeln: Wir wollen den Besuch im Supermarkt mit den EU -Normen zu Lebensmitteln und anderen Gesetzen zum Einkauf miteinander in Einklang bringen.
Wir beginnen bei den Kiwis, einer für meinen Sohn recht ambivalenten Frucht. Einerseits mag er das Süße, andererseits findet er die vielen schwarzen Knubbel mehr als beängstigend. Wir überprüfen zunächst die Früchte der Klasse I. Wir haben dazu eine Nadel so präpariert, dass wir durch eine Frucht hindurchstechen und dann den Durchmesser ablesen können. Auf diese Weise kann ich die Einhaltung der EU -Norm prüfen: »Das Verhältnis zwischen dem kleinsten Querdurchmesser und dem auf der Höhe des Fruchtäquators gemessenen größten Querdurchmesser muss mindestens 0,7 betragen.«
Ich steche zwei Mal in eine Frucht, dann tippe ich die Resultate in einen Taschenrechner ein: 0,74 – alles in Ordnung, die Frucht kommt in den Einkaufswagen. So verfahren wir bei drei weiteren Exemplaren. Das Verhältnis passt, nur eine weist einen leichten Schalenfehler auf. Finn misst die Seitenlängen mit seinem Maßband, und wir stellen fest, dass der Fleck nicht größer als ein Quadratzentimeter ist und wir die Kiwi ohne
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