Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
Rande der Legalität hat er sich schon immer gerne bewegt. Er wurde dazu nicht gezwungen, sondern er hat diesen Lebensstil gepflegt. Es hat ihm gefallen, anders zu leben, ein wenig gefährlich zu leben.
Er hat bewusst gewählt, dass er ein Gauner ist.
Dann hörte ich, dass er im Gefängnis sitzen soll. Dass er hereingelegt worden sein soll. Und dass der Richter ihn bei der Verhandlung nur »Luca Toni« genannt haben soll.
In der Zeitung stand, dass er gemeinsam mit drei Komplizen im September 2009 eine Pokerrunde überfallen und mehr als 7000 Euro erbeutet haben soll. Er sei gar der Kopf der Bande gewesen, der aus Tschechien halbautomatische Waffen besorgt und den Überfall organisiert haben soll. Wenn Sie so etwas über einen Bekannten in der Zeitung lesen, was würden Sie dann denken? Ein netter Gauner? Wohl kaum!
Die Version, die Andreas in seinen Briefen schildert, ist nämlich eine andere: Er sei nur im Auto gesessen und habe Karten spielen wollen. Ihm sei auf der Fahrt mitgeteilt worden, dass die anderen die Pokerrunde überfallen wollten. Er sei aus Angst nicht ausgestiegen, er habe weder Pistole noch Messer angefasst und sei nur froh gewesen, dass alles vorbei gewesen sei: »Ich habe noch nie einem Menschen eine Pistole an den Kopf gehalten, ich wollte immer nur Gutes tun im Leben.« Darüber hinaus hätte sein Anwalt nur Geld eingesteckt, ihn aber letztlich hereingelegt. Deshalb strebe er eine Wiederaufnahme des Verfahrens an.
Was machen Sie, wenn Sie so etwas hören? Glauben Sie den Berichten in der Zeitung oder den Schilderungen Ihres Bekannten?
Ich habe ein wenig recherchiert über den Fall, bin jedoch immer in Sackgassen gelandet. Meine Anfragen wurden meist abgelehnt mit der Begründung, dass man nicht gegen die Verschwiegenheitspflicht verstoßen dürfe. Doch von der Unschuld meines Freundes scheint kaum jemand überzeugt zu sein. »Jetzt mal ehrlich«, sagt ein Anwalt, »wenn es nicht Ihr Bekannter wäre, wie würden Sie die Geschichte beurteilen?«
Mir wird klar: Es gibt diesen lieben Gauner nicht. Er darf nur im Kino existieren oder in unserer Vorstellung, aber in der Realität gibt es so etwas nicht. Ein Verbrecher ist ein Verbrecher. Ein Drogendealer bleibt ein Drogendealer. Ein Schwarzarbeiter ist ein Schwarzarbeiter. Ein Schmuggler ist ein Schmuggler. Und wenn jemand einem anderen Menschen eine halbautomatische Waffe an den Kopf hält, um Geld zu stehlen, dann ist er kein lieber Gauner, sondern ein Verbrecher.
Ich weiß nicht, was in dieser Nacht passiert ist – und wenn ich ehrlich bin, dann will ich es auch nicht wissen.
Ich hoffe, dass er kein Verbrecher ist.
Ich hoffe auch, dass ich irgendwann einmal meine Angst überwinden und ihn im Gefängnis besuchen kann, solange ich nicht weiß, was wirklich passiert ist.
Eines weiß ich jedoch ganz sicher: Ich will kein Verbrecher sein – und ich will mit Verbrechern nichts zu tun haben. Ich möchte niemals in meinem Leben im Gefängnis sitzen.
Kapitel 22
Pay and Pray!
Es gibt ein Lied der britischen Band Muse, in dem die Gedanken eines sterbenden Atheisten beschrieben werden. Irgendwann ist die Frage zu hören: »Hast du Angst zu sterben?« Und im Refrain heißt es: »Ich habe eine Höllenangst, dass das Ende das Einzige ist, das ich sehen kann.«
Jagt es uns nicht eine Höllenangst ein, dass wir nicht wissen, was nach dem Tod mit uns passiert?
Bei einem anderen Projekt, in dem es darum ging, verschiedene Religionen daraufhin zu testen, wie man definitiv in den Himmel kommt oder zumindest als glückliche Kuh wiedergeboren wird, war eine wichtige Erkenntnis, dass die Frage nach dem Jenseits in jeder Religion eine zentrale Rolle spielt und somit die Glaubensgemeinschaften wieder eint. Ob nun Himmel, Wiedergeburt, Erreichen des Nirwana: Alle Religionen versprechen eine Verbesserung für den, der sich in diesem Leben bewährt. Wer sich an die Regeln hält, der wird belohnt. Wer sich nicht daran hält, auf den wartet eine Bestrafung und womöglich gar ewige Verdammnis.
Deshalb gibt es Gebote.
Es ist übrigens auch ein Versprechen unserer Gesellschaft: Wer sich an die Regeln hält, der kann es zu was bringen. Wer sich nicht daran hält, der wird bestraft oder ausgeschlossen.
Deshalb gibt es Gesetze.
Zu den Regeln der christlichen Gemeinschaften in Deutschland gehört es, dass der Gläubige Geld dafür bezahlen muss, dass er Christ sein darf. Wer nicht bezahlt, wird ausgeschlossen aus der Gemeinschaft, darf nicht mehr in die Kirche
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