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Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Titel: Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schmieder
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was gibt es. Jeden Tag sitzen 192 Menschen im Gefängnis oder in Untersuchungshaft für ein Verbrechen, das sie nicht begangen haben und das ihnen nicht nachgewiesen werden kann. Das sind pro Jahr 47000 Tage.
    Es geht nur um die Gefängnistage, noch nicht einmal um die Konsequenzen, die so ein Aufenthalt für den Unschuldigen haben kann, von den psychologischen Problemen über Schwierigkeiten, wieder einen Arbeitsplatz zu finden, bis hin zur Stigmatisierung durch die Gesellschaft. Denn: Selbst wenn jemand zu Unrecht mit Dreck auf einen wirft, sehen die Menschen gerne den Schmutz, der hängen bleibt.
    Der Staat entschädigt diese Menschen, und er tut das mit exakt 25 Euro pro Tag.
    Das ist der immaterielle Schadenersatz, das Schmerzensgeld. Daneben haben unschuldig Inhaftierte natürlich die Möglichkeit, sich weiter entschädigen zu lassen: Verdienstausfall, Verluste bei der Rentenversicherung und so weiter. Nur: Man muss alles selbst berechnen und belegen – aus einer Zeit, in der man verzweifelt im Gefängnis saß. Wer das nicht kann, der bekommt nichts. Manche Geschädigte verzichten auf das Einfordern, weil sie der Prozess noch verrückter macht als die Zeit im Gefängnis.
    Unser Staat ist ein Meister darin, seine Bürger zur Verzweiflung zu bringen.
    Für uns alle bedeutet das nur eins: Ob bei »Monopoly« oder im wahren Leben – achten Sie darauf, nur ja nicht ins Gefängnis zu kommen. Ob nun wegen Schwarzfahrens oder weil Sie eine Atombombe gezündet haben.

Kapitel 21
Gesetzesbrecher III: Der Räuber und Erpresser
    Laut ICD -10 leide ich an F40.2. Hört sich an wie eine Szene aus Star Wars , ist aber tatsächlich eine Krankheit. ICD -10, das ist die internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme. Sie wird von der Weltgesundheitsorganisation herausgegeben; unter F werden psychische Störungen geführt. Ich bin nicht verrückt, sondern ich leide an extremer Platzangst. In einem geschlossenen Raum bekomme ich feuchte Hände und Kurzatmung, in einem Flugzeug werde ich nervös, wenn ich nicht am Gang sitzen darf und mir befohlen wird, dass ich während des Starts angeschnallt sitzen bleiben muss. Mir wird manchmal schwindlig, wenn ich im Kino eine Szene sehe, in der ein Mensch eingesperrt ist.
    Eine Gefängniszelle ist für mich einer der schlimmsten Orte auf der Welt.
    Ich erzähle gerne, dass ich bereits eine Nacht im Gefängnis verbringen musste, weil ich in den Vereinigten Staaten gegen den Irakkrieg protestiert habe. In Wirklichkeit saß ich mit Freunden auf der Polizeistation herum. Der Raum war zwar abgesperrt, aber er war riesig, und man konnte durch die Gitter den Polizisten bei der Arbeit zusehen. Wir durften herumlaufen, wir durften uns unterhalten, wir durften telefonieren. Es war zwar unangenehm, aber es war auszuhalten für die 25 Personen. Nach einigen Stunden durften wir gehen und hatten eine interessante Geschichte mehr im Gedächtnis gespeichert.
    Ein Bekannter von mir hatte weniger Glück. Er wurde nach einem bewaffneten Raubüberfall zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Sollten Sie sich nun fragen, warum ich einen Menschen kenne, der eine illegale Pokerrunde mit halbautomatischen Schusswaffen überfallen hat: So was geht schneller, als man denkt.
    Er hat mir ein paar Mal geschrieben, ich habe ihm geantwortet. Seine Briefe klingen manchmal verzweifelt und enthalten Sätze wie: »Ich werde nicht aufhören zu kämpfen«, manchmal sind sie anklagend: »Das entspricht zu 80 Prozent nicht der Wahrheit.« Es gibt trotzige Momente mit Worten wie: »Ich werde auch den Anwalt anzeigen« – und es gibt fast immer die Bitte: »Vielleicht wenn du Zeit hast, dann besuchst du mich mal bitte, okay?« Seit Monaten nehme ich mir vor, zu ihm zu fahren – das Formular habe ich bereits ausgefüllt und auch mit einem Beamten der Justizvollzugsanstalt gesprochen. Aber ich kann nicht. Ich habe Angst. Vor diesem schrecklichen Gebäude und auch davor zu sehen, was in dieser Zeit aus meinem Bekannten geworden ist. Ich weiß, das klingt verrückt, aber bislang habe ich es nicht geschafft.
    Mein Bekannter ist ein liebenswerter Mensch, ich habe ihn vor mehr als 15 Jahren kennengelernt, als er gerade aus dem Kosovo geflüchtet war und in meinem Heimatverein mit dem Fußballspielen begonnen hatte. Damals arbeitete er als Aushilfskellner und semiprofessioneller Pokerspieler – was ich als 16-Jähriger für eine erstrebenswerte Berufskombination

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