Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
hielt. Dass er aussah wie Luca Toni, habe ich erst viel später bemerkt, als Luca Toni zum FC Bayern wechselte und mein Kumpel, nennen wir ihn einfach Andreas, nach seiner Zeit als Barchef in einer Diskothek und Gerüchten über exorbitante Wettbeträge und skurrile Hochzeiten mittlerweile eine eigene Pizzeria eröffnet hatte. Um ihn rankten sich einige Mythen, auf die er stolz war. Tatsachen erfuhr man nur selten. Bestätigt ist nur, dass er die Profession des Pokerspielers nicht aufgegeben hat, was sich darin äußerte, dass er einige Turniere gewann – aber auch darin, dass es eine Razzia im Hinterzimmer seiner Pizzeria gab. Komischerweise fand Andreas diese Razzia nicht beunruhigend, sondern überaus spannend: »Das war wie in einem Hollywood-Film! Ihr hättet dabei sein müssen, das war überragend!« Ich habe ihn hin und wieder getroffen, in einem Restaurant oder in einem Casino in der Tschechischen Republik. Wir haben uns über alte Zeiten unterhalten und darüber, wie gut es uns doch geht.
Er war ein Gauner – und ich mochte ihn genau deshalb.
Er war für mich immer ein Schlitzohr wie Frank W. Abagnale. Dieser Schlingel, der in den 60er- und 70er-Jahren Schecks, Urkunden und Diplome fälschte. Der sich als Arzt, Pilot und Anwalt ausgab und sich auf diese Weise in 26 Ländern der Welt mehr als 2,5 Millionen Dollar ergaunerte. Der das FBI jahrelang narrte und immer wieder einer Verhaftung entkommen konnte.
Nicht nur durch den Film Catch me if you can mit Leonardo DiCaprio und Tom Hanks ist Abagnale ein moderner Robin Hood – der Zuschauer nimmt ihn aufgrund der Dramaturgie nicht wirklich als Verbrecher wahr, sondern vielmehr als genialischen Lausejungen, der ja nicht wirklich jemandem wehtat, sondern mit Charme und Witz einen Haufen Geld verdiente und die Schwächen des amerikanischen Rechtssystems und der gutgläubigen Gesellschaft ausnutzte.
Als Zuschauer lieben wir die Geschichten des gewieften Gauners, der den Staat und große Unternehmen zum Narren hält und nebenbei ein bisschen Geld verdient. Wie etwa Brad Pitt und George Clooney in Ocean’s 13 , die als Gentleman-Gangster erst ein Casino ausrauben, dann ein Fabergé-Ei klauen und schließlich noch einmal einen bösen Casinobesitzer bestehlen. Oder den Erpresser Arno Funke, der sich als Dagobert eine monatelange Jagd mit den Ermittlern lieferte.
Dass diese Menschen einen immensen Schaden anrichten, das vergessen wir dabei mitunter – vielleicht auch deshalb, weil wir glauben, dass es bei diesen Verbrechen schon den Richtigen treffen würde: einen korrupten Casinobesitzer, einen anderen Verbrecher, einen noch korrupteren Casinobesitzer, Versicherungsunternehmen, das Finanzamt, Banken.
Wenn es den Richtigen erwischt, so der psychologische Trick der Regisseure, dann ist ein Verbrechen erlaubt. Der deutsche Staat scheint immer der Richtige zu sein.
In Deutschland verursachen Betrüger, Insolvenzverschlepper und andere Wirtschaftsverbrecher laut einem Bericht des Bundeskriminalamts pro Jahr einen Schaden von 4,7 Milliarden Euro. Das BKA geht davon aus, dass diese Zahlen das »tatsächliche Ausmaß der Wirtschaftskriminalität nur eingeschränkt« wiedergeben. Wenn wir jedoch von den 4,7 Milliarden Euro mal ausgehen, dann sind das pro Einwohner 51,52 Euro. Wenn Sie also das Oberhaupt einer fünfköpfigen Familie sind, lachen Sie dann immer noch über diese Gauner und bezahlen gerne für Ihre Familie 257,60 Euro im Jahr?
In diesen Zahlen fehlen freilich noch die Menschen, die Steuern hinterziehen und dadurch – je nach Studie – zwischen zwei und 30 Milliarden Euro Schaden verursachen. Oder die Steuerflüchtlinge, die noch einmal bis zu 100 Milliarden Euro draufpacken. Oder jene, die unberechtigterweise Sozialleistungen empfangen, die für etwa 3,6 Milliarden Euro Schaden verantwortlich sind. Oder die Krankenversicherungsbetrüger, durch die weitere 4,5 Milliarden Euro hinzukommen. Die sogenannte Sozialkriminalität richtet mittlerweile in Deutschland insgesamt mehr Schaden an als das, was wir gerne als »normale Kriminalität« bezeichnen.
Aber es erwischt ja den Richtigen.
Wer eine illegale Pokerrunde ausraubt, der klaut das Geld ohnehin von Verbrechern. Im Film wäre Andreas wohl der Held der Geschichte. Im wahren Leben ist er ein Räuber und Erpresser.
Ich wusste, dass er hin und wieder an solchen Runden teilnimmt. Ein Gauner eben, der mit Gaunern pokert und dabei hin und wieder viel Geld gewinnt und hin und wieder viel Geld verliert. Am
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