Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Titel: Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schmieder
Vom Netzwerk:
umarmen wir uns kurz.
    Ich habe immer gedacht, dass solche Situationen anders ablaufen.
    Später schreibe ich Stefan eine E-Mail: »Wann passiert das schon, dass sich Angestellter und Chef bei der Kündigung lachend ansehen und sagen: ›Das ist großartig!‹ Habe ich noch nicht gehört.«
    Ich habe meine Festanstellung beim Süddeutschen Verlag gekündigt, um als freier Korrespondent an die Westküste der Vereinigten Staaten zu wechseln. Es ist deshalb nicht wirklich eine Kündigung, weil ich unter anderem auch weiterhin für die Süddeutsche Zeitung und SZ.de tätig sein werde.
    Der Moment der Kündigung gehört schon zu den aufregenden Situationen in meiner Karriere als Angestellter. Ich werde von meinem Arbeitgeber sehr gut behandelt und glaube, dass ich auch anständige Arbeit leiste. Ich habe nicht einmal blau gemacht, ich habe bis auf kleinere Streitereien kaum Ärger mit Kollegen oder Vorgesetzten gehabt, meine Gehaltsverhandlungen vor fünf Jahren fanden am Rande eines Fußballspiels statt:
    »Ich wäre ein schlechter Geschäftsführer, wenn ich dir mehr bezahlen würde als nötig – ich muss dir so viel bezahlen, dass du gerade nicht kündigst.«
    »Ich wäre ein schlechter Arbeiter, wenn ich dann auch nur eine Minute länger arbeiten würde als nötig. Ich muss so schlecht arbeiten, um gerade nicht rausgeworfen zu werden.«
    Das Gehalt wurde angehoben.
    Vor drei Jahren dann habe ich meinem damaligen Chef aufgrund eines Projekts ehrlich meine Meinung gesagt – ich habe seinen Führungsstil kritisiert, mein Gehalt und die Arbeitszeiten. Ich bin überzeugt davon, der erste Angestellte zu sein, der in einem Atemzug zusammengestaucht wurde und eine Gehaltserhöhung bekam.
    Ansonsten bin ich ein recht langweiliger Arbeiter. Ich klaue keine Büroutensilien, ich habe noch nie Arbeitslosengeld bekommen, mir wurde noch nie gekündigt. Ich habe keine Erfahrung mit den kleinen und großen Schweinereien, die täglich in den Bürogebäuden Deutschlands passieren.
    Wissen für Nichtjuristen
    Einer Kündigung muss nicht
immer eine Abmahnung voraus-
gehen. In Ausnahmefällen (etwa
bei schwerer Pflichtverletzung)
ist eine Kündigung auch ohne
vorherige Abmahnung möglich.
    Aus diesem Grund führt mich meine Tour zu den Gesetzesbrechern zu einem, der sich darin besser auskennt als ich. Ich sitze in der Wohnung eines Menschen, der sich selbst als »Hartz- IV -Künstler« und »Grauarbeiter« bezeichnet – und habe das Gefühl, mich in einem wahr gewordenen Klischee zu befinden. Da sitzt ein Mann im Grobripp-Muskelshirt der Marke Karlheinz, auf dem Tisch stehen Bierdosen und ein voller Aschenbecher. Anton hat Maurer gelernt, war aber auch als Maler, Entrümpler und Lkw -Fahrer tätig.
    Seine Fähigkeiten beschreibt Anton so: »Wenn du willst, dann baue ich dir ein Häuschen im Grünen und auch noch die Straße dorthin – und dann organisiere ich deinen Umzug und helfe dir dabei.« Er sieht so aus, als könnte er zur Not auch ein komplettes Haus von einem Ort zum anderen tragen. Würde Vitali Klitschko beschließen, kein Ausdauertraining mehr zu machen, sondern 30 Kilo Speck und noch einmal 15 Kilo Muskeln draufzupacken, dann hätte er einen Körper wie Anton. Mit der Hand, die er mir zur Begrüßung gegeben hat, könnte er eine Kokosnuss öffnen, auf dem dazugehörigen Arm hätten vier Kandidatinnen von Germany’s next Topmodel Platz. Auf dem Bauch übrigens auch. Sein Gesicht dagegen sieht aus wie das eines Schuljungen, die Augen sind lausbubenblau.
    Er hat 20 Jahre in einer Firma gearbeitet, ehe er im Jahr 2005 aus betrieblichen Gründen entlassen wurde. »Kann man nichts machen«, sagt er, »mein Chef war ein toller Typ, aber das Geschäft lief nicht. Drei Jahre später hat er den Laden dichtgemacht.« Also stand er, 39 Jahre alt, plötzlich auf der Straße, keiner wollte ihn. Nicht einmal der Nachbar, der immer damit geprahlt hatte, ihn sofort einzustellen, wenn er mal keine Lust mehr auf den alten Arbeitgeber hätte: »Der hat mich gleich wieder weggeschickt und gesagt, dass er selbst Leute entlassen muss.«
    Anton hat mehr als eineinhalb Jahre damit verbracht, einen neuen Arbeitgeber zu finden. »Ich habe insgesamt 200 Formulare ausgefüllt und 20 Anträge gestellt und bin von Amt zu Amt gelaufen, um nur ja keine Meldefrist zu verpassen. Weißt du, was ich auf den Ämtern am häufigsten gesehen habe? Inkompetenz und Unfreundlichkeit.« Einige hätten ihm gar Hinweise gegeben, wie er möglichst viel Geld durch die

Weitere Kostenlose Bücher