Mit einem Bein im Modelbusiness
mich im Fitnessstudio erst daran gewöhnen, nicht in der » Pumper-Ecke« mit den Jungs abzuhängen, sondern dorthin zu gehen, wo die Mädchen waren. Das bedeutete: Laufband, Cross-Trainer und Stepper. Natürlich musste ich mir den einen oder anderen Spruch anhören, da ich meinen Kumpels ja nichts von meinen Plänen verraten konnte. Was hätte ich denn sagen sollen? » Yo, Leute, ich möchte Model werden und gehe heute lieber auf den Stepper. Mein Hintern braucht mehr Definition!« Nein, nein! Ganz egal, wie ich es auch formuliert hätte, ich wäre für sehr lange Zeit das Opfer gewesen und hätte mir blöde Witze anhören müssen. Ich weiß das, denn ich hätte es ja selbst nicht anders gemacht.
Natürlich musste ich mich auch um meine Muskeln kümmern. Um sie zu reduzieren, aber gleichzeitig zu definieren, habe ich nur mit ganz leichten Gewichten gearbeitet, dafür jedoch mit unendlichen Wiederholungen. Viermal die Woche für drei bis vier Stunden waren keine Seltenheit, sondern Standard. Ich hatte ein Ziel vor Augen, und das wollte ich so schnell wie möglich erreichen. Meine Ernährung stellte ich ebenfalls radikal um, was gar nicht so einfach war, wenn man den täglichen Kampf gegen die Kantine des Norddeutschen Rundfunks gewinnen musste, wo ich eine Ausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation absolvierte. Ich achtete darauf, nur ganz wenige Kohlenhydrate zu mir zu nehmen und auf Pizza, Pommes, Burger, Pasta, Döner oder Schnitzel komplett zu verzichten. Fisch, Salat, Obst und Gemüse standen auf dem Plan, und beim morgendlichen Gang auf die Waage konnte ich den Kilos brav beim Purzeln zusehen. Bye, bye, Jungs. Sucht euch ein neues Zuhause!
Ich hatte 12 Kilo abgenommen, wog nur noch 78 Kilo, sah für meine Begriffe aber immer noch gesund aus. Meine Freundin freute sich natürlich am meisten über meine sichtbare Veränderung, obwohl sie die Auswirkungen noch gar nicht begriff. Wie auch, ich hatte ja selbst nicht den blassesten Schimmer, was in den nächsten Monaten alles auf mich zukommen sollte. Hier war er also, Marios Modelkörper, nach dem die Agentur verlangte. Ich wusste zwar, dass ich noch nicht perfekt aussah, aber ich war auf dem richtigen Weg. Jetzt konnte die Show beginnen!
Dann ging alles ganz schnell. Ich rief in der Agentur an, bekam einen Termin für den nächsten Tag, wurde wieder fotografiert und ohne weitere Diskussionen aufgenommen. Ich glaube, dass meine lockere und natürliche Art, mit der Behinderung umzugehen, am Ende ausschlaggebend dafür war, dass sie mir einen Vertrag gaben. Ich habe nie verstört herumgestottert, um mein Anderssein zu entschuldigen oder gar zu rechtfertigen. Das hat ihnen wohl imponiert, denke ich. Lea sagte zu mir: » Geh da hin und sei einfach du selbst, sei Mario, dann können sie dich gar nicht nicht lieben.« Im Endeffekt war ich von all den Jungs, die damals mit mir in diesem Raum auf ihre Chance warteten, der Einzige, der es schaffte. Die anderen sah ich nie mehr wieder.
Meine erste Sedcard, mit der man sich als Model beim Kunden vorstellt, bestand komplett aus Polaroid-Fotos, die wir provisorisch und ziemlich unprofessionell in der Agentur aufgenommen hatten. Die Sedcard ist eine Karte im DIN -A5-Format, auf deren Vorderseite ein großes Foto und auf der Rückseite zwei bis vier kleinere Fotos des Models zu sehen sind, inklusive Körpermaße und Agenturadresse. Mein Gesicht war weder ausgeleuchtet, noch wurde ich passend zum Outfit geschminkt. Richtig stylische Designerklamotten hatte ich auch nicht bekommen. Es waren eben stinknormale Polaroids. Mir kam das eigenartig vor, und ich fragte mich ernsthaft, wie sich Karl Lagerfeld oder Wolfgang Joop aufgrund dieser Amateurfotos ein Bild von mir machen sollten. Also, ich hätte mich jedenfalls nicht gebucht. Nicht so! Wie auch immer. Ich kannte die Mechanismen der Branche nicht und vertraute einfach auf meine Agentur, die schon wissen würde, was sie tat. Was blieb mir auch anderes übrig?
Das Warten hat ein Ende
Es dauerte stolze sechs Wochen, bis sie sich wieder bei mir meldeten. Generell verstreicht in diesem Business wahnsinnig viel Zeit mit Warten. Warten auf den Flieger, den Fotografen, die Bezahlung, aber vor allem: Warten auf den Anruf, der alles verändert.
Ich saß mit meiner Mutter, meinem Stiefvater und meiner Freundin gerade im Blockhaus in Eppendorf beim Abendessen – direkt um die Ecke meiner alten Schule –, als mein Handy klingelte. Ich schaute auf das Display: Christian aus der
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