Mit einem Bein im Modelbusiness
Körper gar nicht, grübelte ich. Geht es denn nicht darum, Fotos zu bekommen, auf denen der Kunde erkennen kann, wie gut man in Form ist?
Aber okay, es war mein erstes Shooting, und ich wollte nicht von Anfang an den klugscheißenden Besserwisser geben. Ich spielte das Spiel mit und ließ mich in den verrücktesten Kostümen ablichten, die ihre Schatzkiste hergab, auch wenn ich darin teilweise wie ein Marsmännchen aussah. Am Ende des Tages konnte ich drei Fotos für meine Mappe verwenden, die wirklich schön waren. Die Agentur war happy, das Team war happy, also war ich es auch.
Während dieses Shootings ist etwas mit mir passiert, was mir erst am nächsten Tag, als ich wieder an meinem Schreibtisch beim Norddeutschen Rundfunk saß und Akten sortierte, ins Bewusstsein kam. Zum ersten Mal in meinem Leben bekam ich eine Ahnung davon, was es bedeutet, wirklich einen Traum zu haben, und vor allem, ihn auch zu verfolgen. Die Leute aus dem Team – der Fotograf und sein Assistent, der Hair-and-Make-up-Artist, das andere Model und die Stylistin, die sogar ihr Kind dabeihatte, betrieben einen hohen Aufwand, für den sie nicht nur keinen Cent erhielten, sondern auch noch jede Menge Zeit und Energie investierten, und all das nur, weil sie sich nicht vorstellen können, irgendetwas anderes zu machen.
Auch wenn die Klamotten nicht dem entsprachen, was ich mir in meiner Fantasie vorgestellt hatte, und das ganze Ambiente etwas schicker hätte sein können, so spürte ich bei dem Shooting doch eine Energie, die mich tief im Inneren berührte. Die Sache machte einfach Spaß, richtig viel Spaß. Du bist mit einem kreativen Team unterwegs, hast eine gute Zeit, der Fotograf drückt auf seine Kamera, zeigt dir ein Foto, das noch völlig unbearbeitet ist, aber in dem Moment so geil aussieht, dass der kleine Mario einen Salto nach dem anderen schlagen könnte, und denkst dir: Wenn ich damit auch noch richtig erfolgreich sein könnte, wäre das der absolute Wahnsinn.
Bild 4
Mein erstes Test-Shooting in der Lüneburger Heide, Frühjahr 2008
Grauer Alltag statt glitzernde Fantasiewelt
Dieses Gefühl, wie viel Herzblut jeder der Beteiligten in seine Arbeit steckte, ließ mich einfach nicht mehr los, denn zwischen dem, was ich während der Fotosession erlebt hatte, und meinem Alltag im Büro lagen Welten. Und bei jedem Ordner, den ich gelangweilt aus den Regalen ein- und ausräumte, wurde ich daran erinnert. Ich arbeitete täglich meine To-do-Liste ab und trottete wieder nach Hause. So ging das Woche für Woche, Monat für Monat. Ich kann nicht behaupten, dass mir meine Ausbildung besonders am Herzen lag, aber es störte mich auch nicht weiter. Was ich dort machte, war mir schlicht und ergreifend egal. Mein echtes Leben fand ohnehin nur an den Wochenenden statt. Von Montagmorgen bis Freitagnachmittag hieß es, seine Pflicht zu erfüllen und Geld zu verdienen, doch danach lautete das Motto: Freunde treffen, Kohle auf den Putz hauen, Musik aufdrehen und Party, Party, Party. Es war ja nie mein Traum, Model zu werden. Ich hatte eigentlich gar keine Träume damals, außer vielleicht reich und berühmt zu werden. So wie wir alle. Aber womit? Keine Ahnung. Ich war nur einer aus der Deutschland-sucht-den-Superstar-fucking-wasted-German-Youth!
Wie verloren ich damals war, bezogen darauf, was ich mit meinem Leben anstellen sollte, veranschaulicht am besten die Geschichte, wie ich im September 2006 zu meinem Ausbildungsplatz beim NDR kam.
Alles begann mit der amerikanischen TV -Serie Boston Legal. Stundenlang zog ich mir eine Folge nach der anderen rein und schrieb mich auch tatsächlich an der Uni für Jura ein. Das muss man sich mal vorstellen! Ich dachte allen Ernstes, ein Leben wie diese Fernseh-Staranwälte zu führen wäre die absolute Erfüllung. In teuren Anzügen quasi im Vorbeigehen die Fälle vor Gericht gewinnen, immer ein paar Bündel Tausender in der Hosentasche haben und abends, nach den heldenhaften Triumphzügen des Tages, auf der Dachterrasse der Kanzlei teuren Whiskey schlürfen, Zigarren rauchen und über schöne Frauen philosophieren. Ja, genau so sollte mein Leben aussehen …
Nun war ich also für das Jurastudium eingeschrieben. Meine Eltern, die über meine Stärken und Schwächen logischerweise bestens im Bilde waren, konnten meine Entscheidung zwar nicht nachvollziehen, ließen mich aber machen. Sie dachten sich wohl: Wer weiß, vielleicht gibt es ja eine Seite unseres Sohnes, die uns in den letzten einundzwanzig
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