Mit einem Fuß im Himmel
Leben gewesen.
Natürlich war ihr selber inzwischen aufgegangen, daß weder Oskar Hähnlein, noch Hein Grotius, noch jener unbekannte Kunde für eine Heirat ernsthaft in Frage kam, natürlich war sie sich selber darüber klargeworden, daß ihr ganzer Plan, sich einen von den dreien einzufangen, höchst albern und dumm und dazu noch ganz und gar undurchführbar war! Aber es ist nun einmal ein himmelweiter Unterschied, ob man selbst erkennt, daß man sich wie eine alberne Gans benommen hat, oder ob ein anderer einem das unverblümt ins Gesicht sagt. Weil sie selber nicht mit sich zufrieden war und der Brief Tante Hedwigs mitten in die wundeste Stelle ihres Herzens traf, fühlte sie sich besonders schrecklich gekränkt.
»Unverschämtheit!« schimpfte sie los, als sie endlich die Sprache wiedergefunden hatte. »Das ist dennoch die Höhe!«
Evi starrte sie hilflos, verängstigt und neugierig zugleich an und wußte sich keinen Reim zu machen. »Von wem ist denn der Brief?« erkundigte sie sich schüchtern.
»Hätte ich dieser Person nur nie geschrieben!« schimpfte Liselotte weiter. »Wie bin ich bloß auf diese irrsinnige Idee gekommen! Als ob man von einer solch vertrockneten Tante einen vernünftigen Rat erwarten könnte!«
»Was schreibt sie denn?« ließ sich Evis kleine Stimme wieder vernehmen.
Liselotte beachtete sie nicht. »Tante Hedwig! Wenn sich jemand schon Tante Hedwig nennt! Das hätte mich gleich stutzig machen müssen!«
»Tante Hedwig? Das ist wohl Ihre Erbtante?«
»Quatsch! Die Fragekastentante vom Ausblick !«
»Ach die!« Endlich begriff Evi. »Was haben Sie denn gefragt, Fräulein Liselotte?«
»Der werde ich Bescheid sagen! Der werde ich höchstpersönlich Bescheid sagen! Willst du mir einen Gefallen tun, Evi?«
»Gerne!«
»Paß mal eine halbe Stunde allein auf den Laden auf! Ich will jetzt gleich...«
»Aber wenn das Herr Hähnlein erfährt?«
»Der soll sich nur nicht so haben, verstehst du? Und außerdem kommt er heute sowieso nicht mehr hierher!« Liselotte war schon ins Hinterzimmer gelaufen und in ihren Mantel geschlüpft.
»Fräulein Liselotte«, rief Evi kläglich, »ich kann doch nicht...«
»Natürlich kannst du! Man kann alles, was man will! Tschüß, Kleines!«
Liselotte hatte schon die Ladentür geöffnet und stürzte hinaus, ohne auf Evis verzweifelten Protest zu achten. Sie war geladen, so bis oben hin geladen mit Zorn, daß sie ihren Gefühlen Luft machen mußte, gleichgültig, was daraus werden mochte.
XI
Till Torsten hatte sich heute mächtig ins Zeug gelegt, und so kam es, daß kurz vor fünf fast der gesamte Posteingang erledigt war und nur noch ein einziger Brief auf seinem Schreibtisch lag.
»Der letzte!« sagte er aufseufzend und vertiefte sich in die Lektüre.
Es war jener Brief, den Therese Hähnlein in ihrer verzweifelten Stimmung geschrieben hatte, und er war nicht dazu angetan, angenehme Vorstellungen von ihrem Eheleben, vom Eheleben überhaupt, hervorzurufen.
»Die ganze Nacht habe ich auf meinen Mann gewartet«, schrieb Therese, und Till Torsten hatte Mühe, ihr Bleistiftgekritzel zu entziffern, »von tiefer Sorge erfüllt, denn wie leicht kann es in den Kreisen, in denen er sich herumtreibt, zu einem Unglück kommen! Ich malte mir schon die schrecklichsten Bilder aus, sah ihn blutüberströmt in einer finsteren Kneipe liegen, von Gott und den Menschen verlassen, seinen letzten Atem verhauchen. Schreckliche Sorgen und Ängste peinigten mich, bis ich endlich, gegen Morgen, Schritte hörte, die schweren torkelnden Schritte eines sinnlos Betrunkenen, der unzüchtige Lieder grölte. Ich knipste das Licht aus und stellte mich schlafend, denn ich fürchte mich vor meinen Mann, wenn er in solch einem Zustand nach Hause kommt. Ja, das ist es, liebe Tante Hedwig, was ich dir schreiben muß, ich habe Angst vor meinem eigenen Mann, ich fürchte, daß es bald zu einer Katastrophe zwischen uns kommen wird, kommen muß! Da tritt er auch schon ins Zimmer, brutal reißt er mich aus dem Bett, mit Schlägen und Tritten treibt er mich aus dem Schlafzimmer, unter wüsten Beschimpfungen und Drohungen fordert er, daß ich ihm etwas zu essen mache — zu dieser Stunde! Er sieht fürchterlich aus, ich kann es kaum beschreiben, das Gesicht ist verwüstet, beschmiert von dem Rot eines billigen Lippenstiftes, das Haar zerzaust, nach minderwertigem Fusel riechend! — Sein Anblick entsetzte mich so — mehr noch als seine gemeinen Worte —, daß ich nur denken konnte:
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