Mit einer Prise Glück und Liebe
abhauen? Doch nur, um an Stoff heranzukommen, oder nicht?«
»Stimmt. Du hast Recht.«
»Weißt du, wo Katie gewohnt hat, bevor sie zu dir gezogen ist?«
»Nein.« Merlin lehnt sich gegen mein Bein. Mir fällt wieder ein, dass Katie mir erzählt hat, sie hätte ihn irgendwo in der Nähe der Bahngleise gefunden. »In einem Haus irgendwo entlang der Bahnlinie. Es hörte sich an, als wäre es eine Art Anlaufstelle für Obdachlose.«
»Wir könnten ja eine Weile herumfahren und sehen, ob wir etwas finden.«
Merlin klettert auf den Rücksitz. Vielleicht kann er uns ja weiterhelfen. »Ja. Und wenn wir bis neun Uhr nichts gefunden haben, suchen wir uns ein Zimmer, essen etwas und gehen ins Bett.«
»In Ordnung.«
Aber wir finden nichts. Völlig erschöpft fahren wir zu einem Village Inn, als eine SMS von einer Nummer eingeht, die ich nicht kenne.
Hilfe. Ich bin in einem Café in El Paso. Es tut mir alles wahnsinnig leid. Kannst du mir helfen? Katie
Ich schreibe zurück:
Adresse?
Sie schickt sie mir.
BLEIB , WO DU BIST !
Ich frage die Kellnerin nach dem Weg, die uns ein Stück die Straße hinunterschickt, nicht einmal zwei Meilen von hier. Als wir vor dem Café anhalten, flippt Merlin völlig aus, bellt wie von Sinnen und dreht sich im Kreis, so dass ich Mühe habe, ihm die Leine anzulegen. Als er aus dem Wagen springt, sehe ich Katie ebenfalls: Sie sieht schrecklich verloren aus, wie sie mit einem Glas Wasser in der Nische sitzt und durchs Fenster ins nächtliche Dunkel starrt.
Sobald sie uns erkennt, springt sie auf, stürzt zur Tür heraus und wirft sich mit ungebremstem Tempo in meine Arme. Ich drücke sie an mich, während wir beide in Tränen ausbrechen. »Ich bin so blöd, Ramona. Es tut mir so leid. Meine Mutter hat mir alles gestohlen, meine Sachen – all die schönen neuen Sachen – und das Geld, das ich dir geklaut habe.«
Merlin zerrt und zappelt jaulend neben mir herum und drängelt sich zwischen uns, doch Katie macht keine Anstalten, ihre Umklammerung zu lösen.
Ich halte sie fest, so unendlich erleichtert, dass mir die Knie schlottern. »Das ist doch nicht wichtig. Ich bin nur froh, dass es dir gut geht. So froh.« Ich küsse ihre Locken und inhaliere den leicht verschwitzten Teenager-Geruch, der von ihrem Hals ausgeht. Eine Woge der Liebe von der Wucht eines Ozeans durchströmt mich. Ich weiß, dass ich nie wieder dieselbe sein werde wie zuvor, obwohl mir bewusst ist, dass mit ihr ein weiterer Risikofaktor in mein Leben tritt.
»Könnten wir vielleicht etwas essen? Ich habe so schrecklichen Hunger.«
»Aber natürlich.« Ich sehe Jonah über ihren Kopf hinweg an. Er nickt.
Katie, Merlin und ich schlafen im einen Zimmer, Jonah im anderen nebenan. Katie ruft von meinem Telefon aus Sofia an und spricht auch kurz mit Lily, ehe wir alle völlig erschöpft ins Bett fallen.
Natürlich wache ich lange vor ihnen auf. Ich nehme Merlin an die Leine und mache einen langen Spaziergang in der kühlen Morgenluft, während ich die Ereignisse noch einmal Revue passieren lasse. Die lange, stumme Autofahrt hat mir viel Zeit zum Nachdenken gegeben, und ich bin zu einer Entscheidung im Hinblick auf die Bäckerei und Katies und mein Leben gelangt.
Ich kann nicht so weitermachen, darf nicht zulassen, dass die Bäckerei ständig am Abgrund steht. Ich bin am Ende meiner Kräfte, und es ist weder meinen Mitarbeitern noch meinen Kunden gegenüber fair, sie unablässig diesem Balanceakt auszusetzen, verdammt noch mal. Ich will die Bäckerei nicht verlieren, andererseits bin ich es leid, ständig zu schuften, ohne jemals Zeit für mich selbst zu haben. Ich brauche einen Ausgleich, den ich mir seit der Eröffnung nicht mehr gegönnt habe.
Es ist höchste Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Wenn ich das Geschäft an die Gallagher Group verkaufe, verliere ich zwar meine Autonomie, gewinne aber ein Stück Freiheit und meinen Seelenfrieden. Darüber hinaus könnte dieser Schritt eine Annäherung an meine Familie sein.
Außerdem bin ich die ganze Zeit davon ausgegangen, dass Katie nur vorübergehend bei uns wohnen wird, aber nun wird sie endgültig bleiben. Bei mir oder bei Sofia, Oscar und dem Baby, oder wie unser Arrangement auch immer aussehen wird. Sofia wird mich brauchen, so viel steht fest – sie wird uns alle brauchen. Und auch Oscar wird nicht ohne unsere Hilfe zurechtkommen – die Hilfe seiner Frau, seiner Kinder, seiner Schwiegermutter und all der anderen Mitglieder des Clans, so nervtötend sie auch sein
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