Mit falschem Stolz
blieb mitten auf der Straße stehen.
Das Bild jener Geliebten, die er vor zwei Jahren auf der Handelsfahrt verloren hatte, war verblasst. Ein ferner Schmerz lag noch in seinem Herzen, eine Narbe, Erinnerung an den Verlust eines tiefen, leidenschaftlichen Gefühls. Doch die bodenlose Trauer war verflogen.
Gislindis’ Ablehnung hingegen bedrückte ihn nun weit mehr.
War er so wankelmütig? Oder heilte die Zeit wahrlich auch die Wunden der Seele?
Ein räudiger Köter kläffte ihn wütend an, und Marian setzte sich wieder in Bewegung. Und plötzlich hatte er eine Eingebung – Gislindis, Griffel, Feder, Tafel, Pergament … Sie hatte, schon bevor sie schreiben konnte, zierliche Muster für Messerhefte und Dolchscheiden entworfen. Und auch Mats war geschickt darin, Zeichnungen anzufertigen.
Auf dem Absatz machte er kehrt, ging zurück zum Alter Markt, eilte in die Bibliothek, wo er seinen Schreibkasten zusammenräumte und geschwind seiner Mutter auswich.
Die Wachen ließen ihn zu Mats vor, auch wenn sie ihn nicht mit dem Messerschleifer alleine ließen. Der sah nun wieder aufmerksam aus und versuchte, mit einigen kaum verständlichen Worten seine Freude darüber auszudrücken, dass Marian ihn besuchte.
»Ja, Mats. So weit ist alles in Ordnung. Morgen tagt wieder das Gericht, und für Eure Tochter liegen Gnadengesuche vor. Aber wir suchen noch immer den Mann, der Euch im Adler das Bier ausgegeben hat. Könnt Ihr vielleicht ein Bild von ihm anfertigen?«
Begeistert nickte Mats und wies auf den Schreibkasten.
»Ie Indis, ha!«
»Ja, genau wie Gislindis könnt Ihr auch zeichnen.«
Nicht Feder und Tinte, sondern einen Silberstift reichte er ihm. Mit diesem Stift war es leichter, feine Linien zu ziehen. Er selbst verwendete ihn, um anatomische Skizzen anzufertigen.
Mats besah sich den Stift, probierte ihn an einem Eckchen des angerauten Pergamentbogens aus und schloss dann die Augen. Während er so sinnend dasaß, die Gesichtszüge ganz entspannt, bemerkte Marian seine Ähnlichkeit mit Gislindis. Hätte Mats nicht den entstellenden Wolfsrachen, er wäre ein ansehnlicher Mann, ging es ihm durch den Kopf. Ronya, sein Weib, mochte ihn wohl so gesehen haben.
Mats öffnete die Augen, packte den Stift, und ohne zu zögern, warf er ein Gesicht auf das Blatt. Ein junger Mann, dessen Locken unter einer Scholarenmütze hervorquollen, eine scharfe Nase, lächelnde Lippen, ein leichtes Schielen auf dem linken Auge.
»A!«, sagte er triumphierend.
»Hervorragend, Mats. Ganz hervorragend. Ich bin sicher, damit erkennt man ihn wieder.«
Mats reichte ihm den Stift und nickte.
»Behandelt man Euch gut?«
Wieder nickte er und rieb sich grinsend den Bauch.
»Das Essen ist ausreichend, ja?«
So schien es, und mit einem freundlichen Schlag auf Mats Schulter verabschiedete sich Marian.
Essen war keine schlechte Idee, fand er. Es war der letzte Tag des Oktobers und damit der Tag der heiligen Notburga von Köln, einer starrköpfigen Stiftsfrau, Nichte des Königs Pippin, die sich einst geweigert hatte zu heiraten. Die Beginen nutzten diesen Tag, um ihrer zu gedenken. Aber die Messe war vorüber, und bei den Beginen würde es ein Mittagsmahl geben, das alles andere als karg war. Man konnte das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.
Catrin begrüßte ihn mit ungewöhnlichem Überschwang, Frau Clara bat ihn um Rat wegen der nächtlichen Krämpfe in ihren Waden, die Klagefrauen Henna und Della bestätigten ihm, dass sie sich auf Frau Almuts Rat hin um Haus und Garten des Messerschleifers kümmerten. Die Köchin fragte nach Lore, die uralte Apothekerin verwechselte ihn mit seiner Schwester und beschimpfte ihn der Unzucht, in Männerkleidern herumzulaufen, und die Seidweberinnen wollten ihm eine Länge gelber Seide für sein Liebchen aufschwatzen. Die Gerichte, die die Mägde aus der Küche auftrugen, dufteten köstlich, die gepökelte Rinderbrust mit Quittenmark war zart und saftig, die Suppe von Steinpilzen und Kräutern aus dem wohlbestückten Garten sahnig und würzig, die Dampfnudeln mit der Hollermilch – der Holunderbeerwein sei in diesem Jahr besonders gut gelungen, flüsterte Catrin ihm zu – brachten Marian sogar an den Rand eines kleinen Schwipses. Die Beginen sprachen der Hollermilch ebenfalls reichlich zu, wie er feststellte, und das Tischgespräch wurde außerordentlich lebhaft.
»Mutzen!«, sagte Catrin plötzlich neben ihm. »Mutzen! Die waren doch wichtig.«
»Ich könnte keine einzige mehr essen,
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