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Mit falschem Stolz

Mit falschem Stolz

Titel: Mit falschem Stolz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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beschrieb Lauryn sie. »Nur – Herr Marian – sie hat ihren scharfen Schnabel verloren. Sie ist ganz still und demütig. Irgendwie wie versteinert. Sie sitzt ganz starr unten am Küchenkamin, und Benefiz liegt an ihrer Seite.«
    »Sie hat nicht gesagt, warum sie sich versteckt hat?«
    »Sie macht den Mund nicht auf. Es ist schrecklich. So kennen wir sie gar nicht«, sagte Hedwigis. »Nicht einmal mit den Gänsen hat sie gezetert.«
    »Und sich auch ganz ohne Gezänk in die Bütt stecken lassen«, ergänzte Hilda. »Sie ist krank an der Seele, Herr Marian.«
    »Sie fühlt sich schuldbeladen«, sagte John. »Ich ver mute, sie hat etwas getan, das dazu geführt hat, dass Mistress Alyss angeklagt wurde.«
    »Holt das Kind her«, sagte der Herr vom Spiegel.
    Das Hauswesen hielt den Atem an.
    »Ja, Herr Vater.«
    Marian ging nach unten in die Küche, wo Lore noch immer bewegungslos vor sich hin starrte.
    »Der Herr vom Spiegel will dich sehen, Lore. Folge mir.«
    Mit hängendem Kopf schlurfte sie hinter ihm her. Sein Vater erwartete sie aufrecht vor dem Kamin stehend. Er wirkte wie das fleischgewordene Gewitter.
    »Hier ist Lore, Herr Vater.«
    Marian schob sie vor und trat einen Schritt zurück.
    »Was, Kind, hast du angerichtet?«, donnerte der Herr vom Spiegel. »Welche frevelhafte Untat hast du begangen? Seit vier Tagen bist du pflichtvergessen. Dieses Heim ist ohne seine Herrin, und du ziehst es vor, an den Pfuhlen herumzulungern. Die Gänse kneifen die Besucher. Selbst an meinen Waden haben sie sich vergriffen. Niemand bringt sie zu ihrem Teich, niemand bringt ihre Eier in die Küche. Was treibt dich hirnlose Kreatur dazu, faul und verantwortungslos den Hof zu verlassen? Hat man dir hier nicht Fürsorge angedeihen lassen? Hat man dir nicht den hungrigen Schlund gestopft? Hat man nicht gar versucht, dir Zucht und Benehmen beizubringen? Hat man dich nicht in neue Kleider gewandet? Und hat man dir nicht jede Pflicht mit Münzen entlohnt?«
    Lore biss sich auf die zitternde Unterlippe.
    »›Ein fauler Mensch ist wie ein kotbeschmutzter Stein, und jeder zischt ihn aus, weil er so ekelhaft ist. Ein fauler Mensch ist wie ein Mistklumpen; wer ihn aufhebt, der muss sich die Hände abwaschen‹, so spricht der weise Sirach.«
    Lore sackte in die Knie.
    »Herr, ich hab die Frau Herrin verraten«, stammelte sie.
    »Wem gegenüber hast du falsches Zeugnis abgelegt? Wer hat deinen kümmerlichen Sinn verführt, ihm Übles über deine Herrin zu sagen? Wem hast du mit deinen närrischen Worten das Heft des Henkerschwerts in die Hand gegeben?«
    »D… dem Toni. Dem hab ich …«
    Lore bekam einen Schluckauf.
    »›Besser es kommt einer auf schlüpfrigem Boden zu Fall, als durch sein Reden; so geht’s den Bösen: Plötzlich müssen sie fallen. Ein dummer Mensch fällt auf durch unpassende Reden; im Munde unerzogener Leute sind sie gang und gäbe.‹ Du hast deinen Mund nicht halten können. Um einem Mann schönzutun, hast du das Vertrauen gebrochen und schwatzhaft üble Nachrede verbreitet. Du hast in die Hand gebissen, die dich füttert!«
    Sehr leise hörte Marian seine Mutter sagen: »Es ist gut, Herr. Lasset das Kindlein zu Euch kommen.«
    Das Grollen verklang, Ivo vom Spiegels Stimme wurde weich.
    »Kind, steh auf!«
    Lore rührte sich nicht.
    Leocadie, die Sanfte, war es, die zu ihr trat und sie sacht auf die Beine zog. Zitternd und schwankend stand das Mädchen da. Leocadie gab ihr einen leichten Schubs, und sie sank dem Herrn vom Spiegel an die Brust. Er beugte sich zu ihr, schloss seine Arme um ihren mageren Körper, zog sie eng an sich und brummte: »Dir ist vergeben.«
    »Amen«, seufzte Marian.
    »Praise the Lord«, flüsterte John.
    »Praise the Lord«, stimmten Fredegar, Tilo und Frieder mit ein.
    »Der Herr sei gelobt!«, grummelte Hilda.
    Lore weinte, aber die Starre war aus ihr gewichen, und vertrauensvoll schmiegte sie ihren Kopf an die samtbedeckte Schulter des Allmächtigen.
    »Lauryn, Leocadie, bringt das Kind ins Bett«, bat Frau Almut. »Sie ist völlig erschöpft. Hedwigis, eine Schale Suppe und warmer Wein werden ihr helfen einzuschlafen.«
    »Ja, Frau Almut!«
    Als die Jungfern verschwunden waren, strich sich Marian über die Stirn. Die väterlichen Unwetter reinigten zwar die Atmosphäre, aber sie bewirkten auch nachhaltige Erschütterungen.
    »Sie hat mit dem Schreiber von Endres Overstoltz gesprochen. Dieser Kerl scheint sich an alle möglichen wehrlosen Zeugen herangemacht zu haben.«
    »Nicht

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