Mit falschem Stolz
deine Hand zurückgekommen.«
So war es, und dennoch musste Alyss sich bemühen, die Tränen zurückzuhalten, als John aufstand. Ein schneller Abschied, vielleicht besser als ein langer. Der Bote hatte seine Mahlzeit verzehrt und erhob sich ebenfalls, verbeugte sich vor John und ihr, und sie ging voran, um ihnen die Tür zu öffnen.
»Leb wohl, my Alyss«, sagte John, und seine Stimme klang rau. Sie traten auf die Straße, und eben kam Merten mit Tilo, Frieder und Lauryn zurück.
John bemerkte sie nicht, umarmte sie und küsste sie noch einmal. Dann ließ er sie los und ging mit schnellen Schritten davon.
Ein wenig benommen sah Alyss ihm nach. Erst als Lauryn sie am Ärmel fasste, in den Hof zog und fragte, was geschehen sei, kam sie wieder zu sich.
»Sein Vater hat nach ihm geschickt. Er liegt im Sterben.«
»Oh mein Gott!«
Frieder und Tilo gesellten sich zu ihr, Merten war verschwunden. Alle drei wirkten betroffen.
»Er wollte sich immer mit seinem Vater versöhnen«, sagte Tilo leise.
»Ja, das war sein größter Wunsch«, fügte Frieder hinzu. »Nun, Tilo, dann wirst du mir jetzt helfen müssen, einen jungen Falken zu fangen.«
»Tut das«, sagte Alyss und fasste sich. Dann drehte sie langsam den Ring an ihrem Finger. Er hatte ihr sein Wappen mit dem Falken gelassen.
Sie seufzte.
39. Kapitel
B lanke Scheren, scharfer Stahl
schneiden glatt ein jedes Mal,
schaben, kratzen und barbieren,
schnitzen, scheren, ziselieren,
was das Handwerk so bedarf,
Mats macht Eure Klingen scharf.«
Gislindis sang und tanzte wieder fröhlich auf dem Alter Markt zum Kreischen von Mats’ Schleifstein. Fröhlich nach außen hin und lächelnd nahm sie die kleinen Münzen ein, klatschte warnend auf zudringliche Finger, wies junge Gecken in die Schranken. Sie lauschte den Matronen und ihrem Getuschel, den Scherzen der Marktleute, dem Geschwätz der Wäscherinnen, den Angebereien der Stadtwachen. Vor allem aber hörte sie darauf, was die Reisenden, die Fremden, die Pilger zu berichten wussten. Von fernen Ländern wollte sie Nachrichten hören – vor allem von jenen südlichen Gefilden, wo die Zitronen wuchsen.
Wenn Bittsteller ihr eine Silbermünze reichten, las sie wieder aus ihren Händen, und manchmal kam nun auch wieder die Gabe über sie.
Sie hatte Alyss aufgesucht, wie sie Marian versprochen hatte, und fand ihre Freundschaft ungebrochen. Der Falke war ausgeflogen, doch sie sah sein goldenes Gefieder in der Frühlingssonne aufblitzen. Aber sie verhehlte Alyss nicht, dass noch immer ein schwarzer Schatten hoch über ihnen beiden kreiste – kaum fassbar, immer wieder schwindend, zurückkehrend, unstet. Eine Drohung, vielleicht nicht jetzt, vielleicht nicht hier, doch irgendwo lauernd.
Eine Woche war es her, dass Marian aufgebrochen war, seinem Ziel war er nun schon nahe. Doch wann immer sie versuchte, sein Schicksal zu ergründen, legte sich Nebel über ihre Sicht. Es machte ihr Angst.
Ein junger Scholar reichte ihr seinen Dolch, damit Mats ihn schleifen sollte, eine Schneiderin brachte drei Scheren. Ein kleiner Junge starrte neugierig den Funken nach, die flogen, wenn Stahl auf Stein traf. Und plötzlich versperrte eine hohe Gestalt ihr die Sicht.
»Wohledler Herr«, sagte sie und versank in einem tiefen Knicks.
»Schlyfferstochter!«
»Wie kann ich Euch dienen, Herr? Wie können Mats und ich Euch danken, Herr?«
Graue Augen unter schwarzen Brauen hielten sich an ihrem Blick fest.
»Indem du meinen Sohn dazu bringst, dir die Ehe anzutragen«, grollte er. Dann drehte er sich um und schritt davon.
Mit offenem Mund starrte Gislindis ihm nach.
»Allmächtiger«, stieß sie hervor.
Der Herr vom Spiegel sah sie über seine schwarz gewandete Schulter an.
»So sagt man.«
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