Mit falschem Stolz
misstrauisch.
Es war ein armes, geschundenes Wesen, vermutlich immer hungrig, immer getrieben, ständig geschlagen. Marian haspelte einen Eimer Wasser aus dem Brunnen, und das wurde dann dankbar angenommen.
Inzwischen stolzierte auch Herold wieder über den Hof, angezogen von den Haferkörnern begehrte er seinen Anteil. Der wurde ihm jedoch mit den Zähnen verwehrt, und einige schwarze Federn wehten über das Pflaster. Malefiz war weit vorsichtiger, er beäugte den Neuzugang in der Menagerie aus der sicheren Höhe von Jerkins Verschlag aus.
Hilda kam mit den Jungfern vom Markt zurück, und wieder wurde der Esel mit größtem Misstrauen begutachtet. Marian kam sich allmählich wie der heilige Franziskus vor, der das Recht der Tiere auf Respekt und Achtung verteidigte. Lediglich Leocadie war mitleidig genug, den jämmerlichen Zustand des Tiers zu bedauern. Sie brachte einen geviertelten Apfel aus der Küche, wollte die Schnitze der Eselin reichen und wurde hinterhältig gezwickt.
»Macht nichts«, sagte sie, als Marian ihr die Hand verband. »Man hat sie schlecht behandelt, Herr Marian.«
»Weshalb man sie hier gut behandeln wird.«
Da an den Messetagen alle Welt beschäftigt war, setzte er sich in Alyss’ Kontor und prüfte müßig ihre Bücher. Sie war sehr ordentlich darin, und seit er ihr gezeigt hatte, wie man Geschäfts- und Haushaltsausgaben und Einnahmen trennte, konnte sie nachweisen, dass sie recht erfolgreich wirtschaftete. Auf dem Schreibpult lagen auch zwei gesiegelte Dokumente, deren Siegel jedoch erbrochen waren. Er rollte das erste auf und stutzte.
Es war ein Kaufvertrag über den Weingarten, den tatsächlich ein Edelbrecht von Merheim ausgehandelt hatte – im Namen seines Auftraggebers Robert van Doorne.
»Schlauer Bursche«, murmelte Marian anerkennend. Daher kamen also die günstigen Bedingungen, die Magister Jakob seiner Schwester unterbreitet hatte, wenn sie sich bereiterklärte, den Weingarten weiter zu bewirtschaften.
Das zweite Dokument war der Kaufvertrag zwischen Arndt van Doorne und Dries van Dytz über ein Haus am Hungksrücken. Dieser Handel war im März dieses Jahres abgeschlossen worden. Offensichtlich stammten diese Unterlagen aus dem Reisebündel, das Robert von der Witwe in Riehl erhalten hatte.
Und nun hatte er irgendetwas in die Wege geleitet, um Alyss von diesem Haus zu befreien.
Marian hoffte so bald wie möglich davon zu erfahren.
In der Zwischenzeit würde er seine verdrehten Gefühle in die Schranken weisen und sich auf den Weg zum Heumarkt machen, um nach einer Spur des schwarzen Hengstes Ausschau zu halten.
1 Gislindis hat die Gabe der Vorhersehung, sie kann bereits Goethes Worte zitieren.
31. Kapitel
N ein, Pater Henricus, ich bin nicht gekommen, um Trost zu suchen, sondern um Fragen zu stellen. Und zwar ganz irdische.«
Der Franziskaner roch wie so oft nach Schwefel und Ruß, und seine Kutte war an den Ärmelsäumen angesengt. Er saß in dem Kellergelass, das man ihm als Laboratorium zugebilligt hatte, und aus einer langschnäbeligen Retorte tröpfelte eine ätzend riechende Flüssigkeit. Er betrieb die Alchemia zur höheren Ehre Gottes, und sein Ziel war weder Gold zu machen noch das Elixier des ewigen Lebens zu finden, sondern die Natur der Elemente zu ergründen. Jener vier Kräfte, Feuer, Erde, Wasser und Luft, die nach Auffassung der Alten und Weisen die Grundsubstanzen des Lebens waren. Gott hatte das Licht, das Feuer des Himmels, geschaffen und das Feste zwischen den Wassern. Und aus Wasser und Lehm hatte er den Menschen geformt und ihm mit seiner Atemluft das Leben eingehaucht. Pater Henricus hatte oft darüber doziert in jenen Jahren, da er ihr und Marians Lehrer gewesen war. Und wenn er sich über dieses Thema ausließ, dann fiel alle heilige Sanftheit von ihm ab, und er wurde zu einem leidenschaftlichen Gelehrten. Aus diesem Grund zweifelte Alyss hin und wieder an seinen allzu christlichen Worten. Ihm fehlte es an wahrer Einsicht in das wirkliche Empfinden der Menschen. Er hatte ein Regelwerk gelernt, genau wie das seiner Studien und Theorien – Mann und Weib liebten sich, Tote wurden betrauert, über eine Geburt freute man sich, Sünder litten unter ihren Taten, Geschwister waren einander zugetan und viele andere oberflächliche Binsenwahrheiten bildeten seinen Kanon der Gefühle.
»Kind, aber du bist eben erst zur Witwe geworden. Es stünde dir besser an, zu beten und Fürbitte zu leisten.«
»Ja, Pater Henricus. Fürbitte leiste ich für
Weitere Kostenlose Bücher