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Mit falschem Stolz

Mit falschem Stolz

Titel: Mit falschem Stolz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Höhepunkt erreicht. Überall wurde gehandelt, gefeilscht, ge zetert, gelacht. Münzen klirrten, Pergament raschelte, Karren, Körbe und Kiepen wurden be- oder entladen. Die Menschenmassen drängten ihn über den Handelsplatz, und plötzlich umwanden ihn wie zärtliche Schlangen die fremdartigen Düfte. Er blieb stehen, schloss für einen Moment die Augen. Lavendel, Safran, Zimt – mehr und andere Gewürze aus südlichen Gefilden verströmten ihr Aroma. Das Bild der bunten Bazare leuchtete aus einer Erinnerung auf. Er hörte venezianische Laute und kastilische, erinnerte sich, verstand sie. Hörte Zahlen und Maße, Gewichte und Münzwerte. Lobpreisungen der duftenden Seifen, der Rosenöle und feinen Salben, Beschwer den über angeschlagene Orangen und Zitronen, ein Seufzen über die Süße des türkischen Honigs, das leise Rascheln der kostbaren Seiden …
    Eine leichte Hand berührte seine Schulter.
    »Träumt Ihr, Herr Marian, von südlichen Gefilden?«
    Langsam öffnete er die Augen und erkannte Gislindis. Sehr sittsam gewandet in einem blauen Kleid und einer weißen Schürze, die Haare unter einem blauen, bestickten Tuch verborgen. Doch dunkle Ringe lagen unter ihren seltsamen Augen, die in dem milden Herbstlicht zu schillern schienen.
    »Ja, es erinnert mich an andere Märkte.«
    »Mit Sehnsucht, Herr Marian?«
    Er drehte sich zu ihr um.
    »Ich weiß es nicht. Es ist so fern …«
    »Reisen in die Ferne, ja, manche lieben es, andere Stätten zu besuchen. Meine Mutter, Ronya, hielt es selten lange an einem Ort. Und doch ist sie geblieben. Hier in Köln, an Mats’ Seite. Aber es fiel ihr schwer, und heute glaube ich, dass ein Teil ihrer Selbst verkümmerte.«
    »Sie war eine Fahrende. Ich bin ein Heiler.«
    »Vielleicht, Herr Marian. Aber Ihr seid auch ein Kaufmann. Leugnet es nicht, das Handeln lockt Euch.«
    Sie hatte recht, aber er hatte sich geschworen, den Handel aufzugeben und für seine Gabe als Heiler zu leben. Schwüre banden.
    »Ich kann nicht zurück«, murmelte er, und sein Blick fiel auf die glitzernden Glasfläschchen, die ein Venezianer auf seinem Stand aufgebaut hatte.
    »Könnt Ihr denn vorwärts, Herr Marian?«
    »Ihr stellt unmögliche Fragen, Gislindis.«
    »Wollt Ihr Antwort, Herr? Für Silber gebe ich sie Euch, ganz wie Ihr sie Euch wünscht.«
    Er versuchte ihrer Nähe zu entkommen und ging ein Stück weiter auf die Stände zu. Käufer und Lastenträger, Neugierige und Bedürftige drängten sich an ihm vorbei. Er fand erst wieder einen Platz in der Nähe der Gewandschneider. Unter ihnen entdeckte er John, der in Gespräche mit Schneidermeistern und Tuchhändlern verwickelt war. Einige Stände weiter hatte ein Spezereienhändler ein Zitronenbäumchen in einem Kübel neben seinem Stand stehen.
    Marian betrachtete es sinnend. Er hatte mit Spezereien gehandelt. Kostbare, empfindliche Ware. Das Handelshaus derer vom Spiegel hatte immer mit Gütern aus dem Süden das Geschäft betrieben. Die Zeit in der deutschen Niederlassung in Venedig war die aufregendste und lehrreichste seines Lebens gewesen. Aber auch die Fahrten zu den Kontoren in Spanien … die heißen Ebenen, die ele ganten maurischen Gebäude, die Schwere der südlichen Weine, die warmen Nächte, geschwängert von Blütenduft … Damals hatte er seine Geliebte kennengelernt und sich verloren in Leidenschaft und Wonne.
    Hätte die Liebe in diesem kühlen Herbst den kalten Winter überdauert, oder wäre sie gewelkt wie die Weinblätter an den Reben?
    »Südliche Pflanzen brauchen viel Pflege, wenn sie hier gedeihen sollen.«
    Wieder drang Gislindis’ Stimme an sein Ohr – gerade so, als habe sie seine Gedanken gelesen.
    »Habe ich einer Schimäre angehangen?«, flüsterte er.
    »Nein, Herr Marian. Ihr geht pfleglich mit dem Leben um. Aber was nahe liegt, übersieht man oft.«
    »Ihr seid doch diejenige, die mich übersieht«, entfuhr es ihm.
    »Nein, das tue ich nicht. Ich sehe Euch viel zu deutlich, Herr Marian.«
    »Was seht Ihr in mir?«
    Ihr Blick ging zu dem Zitronenbäumchen.
    »Kennt Ihr das Land, wo die Zitronen blühn?« 1 , fragte sie und lächelte. »Meine Mutter erzählte mir davon.« Wieder huschte ihre Hand über Marians Schulter. »Könnt Ihr vorwärtsgehen?«
    Er wollte ihre Hand fassen, aber sie war verschwunden. Irgendwo im Gewimmel sah er noch ihr blaues Kopftuch aufleuchten.
    Vollkommen durcheinander bahnte er sich den Weg zur Witschgasse. Alyss, seine Zwillingsschwester – sie hatte ihn immer verstanden. Seit sie

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