Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit falschem Stolz

Mit falschem Stolz

Titel: Mit falschem Stolz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
einen Unschuldigen im Kerker. Aber Fürbitte alleine wird sein Leiden nicht ändern.«
    »Für wen bittet ihr?«
    »Für Mats Schlyffers, Pater Henricus. Er schmachtet noch immer im Kerker. Und ihm droht nun auch noch die peinliche Befragung. Dem armen, von Gott mit einem Wolfsrachen geschlagenen Mann, der auch unter den furchtbarsten Foltern keine Fragen beantworten kann.«
    Das Rezept, das sie sich ausgedacht hatte, um Pater Henricus zur Mithilfe zu verleiten, begann erste Wirkung zu zeigen.
    »Sie dürfen keinen Menschen peinlich befragen, der nicht sprechen kann. So sagt es das Gesetz.«
    »Das Gesetz ist das eine. Was ein Mensch tut, Pater Henricus, ist etwas ganz anderes. Auch Gislindis und ich wurden nur auf die Aussagen einiger missgünstiger Neider hin angeklagt. Unsere Unschuld wurde bezeugt, doch niemand spricht für Mats. Und Schöffe Overstoltz will ihn als Mörder verurteilt sehen, weil er keinen anderen Schuldigen findet.«
    »Alyss, meine Liebe, glaubst du denn wirklich, dass er unschuldig ist?«
    »Man hat ihm Bilsentinktur in sein Bier getan und ihn dann niedergeschlagen. Er hat uns sogar eine Zeichnung angefertigt von dem Mann, der das getan hat. Aber wir finden ihn nicht. Pater Henricus, Ihr kennt die Wirkung von Bilsenkraut. Ihr habt gesehen, wie benommen er war.«
    Das wiederum sprach Henricus’ gelehrte Seite an, und er dozierte einen Augenblick über die Gifte der Pflanzen im Gegensatz zu den Giften der unbelebten Stoffe. Geduldig wartete Alyss ab, bis er zu einer conclusio gekommen war.
    »Ihr habt ihn erlebt, den armen Mats, dort in der Tollkammer. Tagelang dämmerte er vor sich hin. Doch nun ist er wieder bei Besinnung und kann sich erinnern. Daher hat Marian ihn um das Bild gebeten, und es zeigt einen jungen Scholaren mit einem leichten Schielen. Wir suchen nach ihm. Doch inzwischen, Pater, ist seine Tochter zwar wieder frei, doch schutzlos. Gislindis kann ohne Mats nicht auf den Markt und Messer schleifen. Bald wird sie verhungern, denn sie ist zu stolz, um Almosen anzunehmen.«
    Derart schlichte Schilderung von Gefühlen verstand der Pater, und in seinem christlichen Regelwerk der Nächstenliebe stand das Mitleid mit den Schwachen.
    »Aber was kann man tun, Alyss? Ich bete für sie …«
    »Betet für Endres Overstoltz, Pater Henricus, denn er braucht Eure Fürbitte weit mehr. Der bedauernswerte Mann leidet sicher Gewissensqualen ob seiner Verfehlungen.«
    Verwundert sah ihr alter Lehrer sie an.
    »Weil er Unschuldige in den Kerker gebracht hat?«
    »Nein, weil er seine Mutter verleugnet hat und falsches Zeugnis ablegen musste, um zum Schöffen zu werden.«
    Verwirrt schüttelte der Franziskaner den Kopf.
    »Warum sollte er das getan haben, Alyss? Die Schöffen sind ehrbare Männer, sie haben ihn gewäldigt.«
    »Sicher. Doch, Pater Henricus, auch Ihr stammt aus der Familie der Overstoltzens. Hat Gerard vom Vogelsang nicht zwei Söhne und eine Tochter gehabt?«
    »Was hat denn der Gerard mit dem Endres zu tun?«
    »Er ist sein Vater. So sagen es die Urkunden.«
    »Nie und nimmer. Werner, Hermann und Nesa, die hat ihm sein Weib Mynta geboren. Ich selbst habe sie getauft.«
    »Wie kann es denn dann sein, dass die Schöffen Endres, den Sohn der Mutzenbäckerin Momke vom Malzbüchel, als seinen ehelichen Spross anerkannt haben?«
    Bei seiner Familienehre gepackt, wurde der fromme Pater urplötzlich zum Overstoltz.
    »Da ist Betrug im Spiel!«
    »Richtig, Pater Henricus. Deswegen solltet Ihr für den armen Sünder beten.«
    »Das werde ich tun, wenn er bereut und Buße tut.«
    »Dann sprecht Ihr mit ihm, dass er sein Vergehen gesteht und von seinem Amt zurücktritt?«
    Pater Henricus, die Hände in den Kuttenärmeln verborgen, schritt in seinem Laboratorium auf und ab. Alyss verschränkte ihre unruhigen Finger zu einem Körbchen und hielt sie still in ihrem Schoß. Aus Erfahrung wusste sie, dass sie Geduld mit ihrem ehemaligen Lehrer haben musste. Er war nun schon ein alter Mann, wenn auch noch nicht so alt wie ihr Vater. Sein Geist arbeitete unerwartet nüchtern und zielstrebig, aber bedächtiger als der ihre. Er musste, so vermutete sie, immer erst einige Hürden überwinden, die ihm sein unerschütterlicher Glaube an das Gute auferlegte.
    Schließlich aber schien er einen Entschluss gefasst zu haben. Er setzte sich, verbarg den Kopf in seinen Händen, schaute dann wieder auf.
    »Kind, du hast große Zweifel in mir geschürt. Gib mir Zeit. Ich will darüber nachdenken. Vielleicht muss ich

Weitere Kostenlose Bücher