Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
und hätte dich gerne kurz gesprochen. Wie war die Präsentation?« In diesem Moment würde ich am liebsten die Türe aufreißen und ihn mit seinem Ski erschlagen. Oder mit dem Skistock aufspießen. »Na ja, du bist nicht da. Lass mich raten, du arbeitest noch.« Ein freudloses Lachen erklingt. »Also dann.« Er legt auf, verstaut sein Telefon in der Hosentasche und greift nach dem Skisack. Wirft einen letzten Blick zurück und trottet dann langsam, mit hängenden Schultern, die Treppen hinunter. Als er meinem Blick endgültig entschwunden ist, setze ich mich mitten im Flur auf den Boden und starre vor mich hin. Als das Telefon erneut klingelt, springe ich auf und reiße das Telefonkabel mit so viel Schwung aus der Dose, dass diese sich halb aus der Wand löst. Ist mir egal. Ich will nie wieder Simons Stimme hören! Erneut überfällt mich bleierne Müdigkeit. Doch an der Schlafzimmertür halte ich inne. Santa Claus lächelt mich unschuldig an. Ich kann nicht widerstehen und pflücke wahllos ein Päckchen von seinem Körper. Öffne es und starre betroffen auf eine Theaterkarte. »Wer hat Angst vor Virginia Woolf?«, 6. Dezember um 20 Uhr. Darauf klebt ein in Herzform ausgeschnittenes Post-it mit einer handschriftlichen Nachricht von Simon:
»Alles Liebe zum Nikolaus! Ich warte im Foyer auf Dich! Dein Simon.« Mir wird plötzlich heiß und kalt, als vor meinem inneren Auge das Bild aufsteigt, wie mein Freund am Nikolausabend im Eingangsbereich des Theaters steht und auf mich wartet. Wie die Glocke einmal, zweimal, dreimal schrillt. Menschen strömen in Richtung Zuschauersaal davon, bis er schließlich ganz alleine zurückbleibt und einsehen muss, dass ich nicht kommen werde. Der Gedanke zerreißt mir beinahe das Herz. Fast automatisch greife ich nach dem nächsten Geschenk, das die Form eines Bonbons hat. Ein zusammengerolltes Papier kommt zum Vorschein. Nein, bitte kein Liebesgedicht! Mit zitternden Fingern glätte ich den hellblauen Zettel und lese:
»Du weißt, du bist entweder eine Prostituierte oder ein Berater, wenn:
• Du sehr schräge Arbeitszeiten hast
• Du sehr gut bezahlt wirst, um deinen Kunden glücklich zu machen
• Du nicht einmal besonders gut in deinem Job sein musst
• Man viel für dich bezahlt, aber dein Chef das Meiste für sich behält
• Du sehr viel Zeit in Hotelzimmern verbringst
• Du eine enge Beziehung zu deinen Kollegen entwickelst
• Es schwer für dich ist, eine Familie zu haben
• Du dafür belohnt wirst, Fantasien in den Köpfen deiner Kunden zu wecken
• Du morgens zum Kunden gehst und großartig aussiehst, abends beim Heimkommen dagegen furchtbar«
Soll das etwa witzig sein? Ich blicke hoch zu dem Weihnachtsmann, der sich anscheinend gut über den geschmacklosen Scherz meines Exfreundes amüsieren kann, wenn ich sein Grinsen richtig deute. Ich dagegen bin tödlich beleidigt. Ich sah also furchtbar aus, wenn ich heimkam?
»Hohoho, das war doch nur ein harmloser kleiner Witz, Viviane. Wo ist denn dein Humor geblieben?«, fragt Santa Claus und lächelt auf mich herunter.
»Den habe ich wahrscheinlich in irgendeinem Hotelzimmer verloren«, blaffe ich und rappele mich vom Boden auf. Mit funkelnden Augen baue ich mich vor dem Weihnachtsmann auf, der plötzlich ein bisschen verängstigt schaut. Doch da habe ich ihn schon von seinem Nagel gerissen. Hilflos zappelnd hängt er in der Luft, während ich mit ihm den Flur herunterlaufe, um ihn im Küchenmülleimer zu versenken. Von unten herauf schielt er mich flehend an. Mitten in der Bewegung halte ich inne. Es ist verrückt, ich weiß. Ich bin mir wohl bewusst darüber, dass es sich bei dem Adventskalender um ein paar zusammengeklebte Stücke bunter Pappe handelt.
Dennoch. Ich bringe es einfach nicht über mich, den Weihnachtsmann in den Abfall zu werfen. Seufzend versenke ich ihn stattdessen in einem Pappkarton aus der Abstellkammer. Einmal in Fahrt gekommen, durchforste ich meine ganze Wohnung nach Erinnerungsstücken an Simon und werfe sie hinterher, um dann alles auf den Speicher zu bringen.
Den Rest des Wochenendes verbringe ich in der Gesellschaft von Tristan vor meinem Laptop und schaue die letzten drei Staffeln von »Sex and The City«. Sich das verkorkste Liebesleben anderer Frauen über dreißig anzuschauen, hilft ungemein, um sich von seinem eigenen Schicksal abzulenken. Und da ich ja keinen Fernseher mehr besitze, sondern nur noch ein weißes Rechteck an der Wand, muss ich die Serie wohl oder übel
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