Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
werfe ich zur Auflockerung einen kleinen Scherz ein, der von meinen Zuhörern mit einem wohlwollenden Grinsen belohnt wird. Verdammt, ich mache meine Sache so gut, dass ich es selber kaum glauben kann. Nachdem das Angebot ausgesprochen, mein Vortrag beendet ist, kehre ich in meinen Körper zurück, in dem sich jetzt eine bleierne Schwere ausbreitet. So locker und leicht das Ganze von außen auch gewirkt haben mag, es hat mich an die Grenzen meiner Kraft gebracht. Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten. Bevor meine Knie unter mir wegknicken, lasse ich mich auf den bequemen Ledersessel gleiten, an dessen Lehne ich mich bislang festgehalten habe.
»Großartig«, dröhnt eine männliche Stimme durch den Raum. Als ich den Kopf hebe, in die Runde sehe, erblicke ich strahlende Gesichter. Jetzt steht D20 auf, schließt seinen Sakkoknopf über dem Bauch und kommt auf mich zu.
»Vielen Dank, Frau Sonntag, gute Arbeit, wirklich«, lobt er und hört gar nicht mehr auf, meine Hand zu schütteln. Erschöpft lächelnd sehe ich zu ihm hoch. Lob ist in meiner Branche selten. Es wird einfach davon ausgegangen, dass alles wie am Schnürchen läuft.
»Wirklich?« Es ist kaum mehr als ein Hauchen.
»Ausgezeichnet«, bestätigt er, und drei Köpfe nicken im Chor.
»Das freut mich sehr«, antworte ich mit fester Stimme.
»Uns auch.« Er hat meine Hand noch immer nicht losgelassen. Ich scheine ja ein wahres Naturtalent zu sein, denn schon jetzt habe ich nicht einmal mehr den blassesten Schimmer, was ich überhaupt von mir gegeben habe. Mit zitternden Knien erhebe ich mich und sammele meine Unterlagen wieder ein. Ich nicke noch mal grüßend in die Runde und dann nichts wie weg.
Am Ende des Ganges wartet Benjamin mit gespannter Miene auf meinen Bericht. Als er mich sieht, erschrickt er:
»Was ist los …« Er wagt nicht, seinen Satz zu beenden.
»Nein, nein.« Müde schüttele ich den Kopf. »Es ist alles bestens gelaufen.«
»Mensch, super.« Einen Augenblick lang stutzt er und sagt mit zusammengezogenen Augenbrauen: »Du bist richtig fertig, oder?« Ich kann nicht einmal mehr antworten, nur noch schwach mit dem Kopf nicken. Wie konnte Simon mir das nur antun? Mir eine heitere SMS über Skier zu senden, Minuten vor dem wichtigsten Vortrag meiner bisherigen Karriere? Selbstverständlich wusste er genau, wie bedeutsam der heutige Tag für mich ist. Simon hat ein Gedächtnis wie ein Elefant. Und jetzt hat er sich für seine Rache ausgerechnet diesen wunden Punkt ausgesucht. Der wahre Inhalt seiner SMS lautet:
LIEBE VIVE, ICH SCHIEBE ZWAR MEINE DÄMLICHEN SKIER VOR, ABER EIGENTLICH SCHREIBE ICH DIR GENAU IN DIESEM MOMENT, WEIL ICH HOFFE, DASS DU DEINE PRÄSENTATION VERSEMMELST UND DANN BEIDES LOS BIST, MICH UND DEINEN JOB. DU HAST MEIN HERZ GEBROCHEN UND DAS IST MEINE RACHE. LIEBER GRUSS, SIMON
Aber ich habe meine Präsentation nicht versemmelt. Ha! Leider bin ich zu erschöpft, um mich wirklich zu freuen. Und zu traurig. Was ist aus meinem Leben geworden? Simon war doch immer für mich da, mein Halt im Sturm der Welt. Und jetzt ist er plötzlich mein Gegner. Ich spüre, wie ich von den Wellen aufs Meer hinausgetragen werde. Woran soll ich mich bloß festhalten?
»Vivi? Viviane?« Schon wieder fuchtelt Benjamin mit seiner Flosse vor meinem Gesicht herum. Ich wünschte, er würde sich das abgewöhnen. »Du hast jetzt sehr lange auf meinen oberen Hemdknopf gestarrt und nicht reagiert«, sagt er vorsichtig.
»Tatsächlich? Wie lange?«
»Ich würde sagen, lange genug, um dir für den Rest des Tages freizunehmen.«
»Unsinn«, sage ich bestimmt und will mich an ihm vorbeidrücken, aber er hält mich am Arm fest. »Autsch«, mache ich empört.
»Du lässt dir jetzt vom Sekretariat deinen Flug umbuchen, und dann fliegst du heim und ruhst dich ein ganzes Wochenende aus, verstanden«, sagt er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet.
»Nein, das …«, setze ich an, doch er lässt mich gar nicht ausreden.
»Und wenn ich dich persönlich in den Flieger setze«, wettert er. »Du hast dein Soll für heute erfüllt. Deine Präsentation war ein voller Erfolg. Das reicht. Ich möchte dich nicht heute Abend auch noch ins Krankenhaus bringen müssen. Los jetzt, Marsch. Und zu Hause schaltest du das Blackberry ab und spannst mal richtig aus. Verstanden?« Seine hellen Augen funkeln richtig bedrohlich. Eigentlich will ich protestieren, aber plötzlich fehlt mir jede Kraft dazu. Ich verspüre richtiggehend Erleichterung darüber,
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