Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
Koteletten reichen ihm bis fast an die Mundwinkel. Er sieht aus wie der Räuber Hotzenplotz, und vor dem hatte ich schon als Kind eine Heidenangst. Unwillkürlich weiche ich zurück.
»Na, was sagst du?«, erklingt Lutz’ Stimme aus dem Mund des unheimlichen Gesellen. »Nicht schlecht, was?«
»Lutz? Bist du das etwa?«, frage ich ungläubig und komme zögernd wieder ein Stück näher.
»Natürlich, wer denn sonst«, sagt er fröhlich und streichelt sich zufrieden über den schwarzen Schopf.
»Aber, deine Augen«, sage ich, noch immer ein wenig misstrauisch.
»Kontaktlinsen«, kommt es wie aus der Pistole geschossen zurück.
»Das ist ja unglaublich, du siehst aus wie ein komplett anderer Mensch.«
»Ich weiß«, gibt er mit stolzgeschwellter Brust zurück.
»Aber ehrlich gesagt siehst du ein wenig unheimlich aus, wenn ich das so sagen darf«, merke ich vorsichtig an. Schließlich will ich seine Gefühle nicht verletzten. »Ich glaube nicht, dass ich einfach so in deinen Wagen steigen würde, wenn ich Lydia wäre. Nichts für ungut.«
»Hm, vielleicht hast du Recht«, stimmt er mir sofort zu. »Warte hier.«
Zehn Minuten später, ich habe derweil schon mal das Menü bei »Raw like Sushi« für heute Abend aufgegeben und die Heizpilze bestellt, steht ein rothaariger Mann mit Sommersprossen, Schnauz- und Kinnbart sowie einer runden Nickelbrille vor mir.
»Ick bin der Matze aus Berlin, wa. Unn, watt sachse?«, fragt er in einem gekonnten Berliner Dialekt. »Is dit ooch noch furchteinflößend, oder watt?« Nein, ganz und gar nicht. Ein bisschen skurril vielleicht, aber definitiv besser.
»Das ist super«, beteure ich.
»Danke, jute Frau.«
»Woher kannst du denn berlinern?«
»Ick bin Schauspieler, watt denkst du denn?«
»Also machst du heute den Chauffeur?«, erkundige ich mich hoffnungsfroh und er nickt.
»Na klar, ich nutze es einfach als Übung. Weißt du, den ganzen Abend in einen anderen Charakter zu schlüpfen, das ist gar nicht so einfach.«
»Danke, du hast was gut bei mir«, stoße ich erleichtert hervor. Eine Sorge weniger! Schon wieder klingelt das Telefon, außerdem hat der Computer in der Zwischenzeit schon mindestens fünfmal piepsend verkündet, dass eine neue E-Mail angekommen ist. »Würdest du bitte …«, frage ich »Matze«, und er beantwortet bereitwillig den Anruf. Ich checke derweil die Mails. Eine ist von Benjamin. Er ist begeistert, wunderbar. Vier weitere Interessenten. Ich beantworte ihre Fragen, dann schleppe ich mit Hilfe von Lutz meine Balkonmöbel hinunter in meinen Golf. Sie passen mit Ach und Krach hinein. Fröstelnd ziehe ich die Schultern nach oben und frage mich kurz, ob es wirklich eine gute Idee ist, um diese Jahreszeit und bei dieser Eiseskälte ein romantisches Dinner im Freien zu organisieren. Aber aus Mangel an Alternativen muss es einfach so gehen, vorsichtshalber kann ich ja noch ein paar Wolldecken einpacken. Die Zeit verfliegt, und ich habe immer noch keinen Kellner für heute Abend gefunden.
»Bitte, du musst doch irgendeinen anderen arbeitslosen Schauspieler kennen, der heute Abend einspringen kann«, flehe ich Lutz an und merke eine Sekunde zu spät, dass ich etwas Falsches gesagt habe. Und richtig, die roten Augenbrauen ziehen sich über der Nasenwurzel zusammen, ein vernichtender Blick trifft mich:
»Watt soll datt denn heißn? Bin ick viellaicht abeitslos?« Er ist immer noch »in character«, wie er mir erklärt hat, und anscheinend hat er auch nicht vor, wieder herauszukommen.
»So meinte ich das doch nicht«, versuche ich meinen Faux-pas wieder geradezubiegen, aber Lutz alias Matze ist beleidigt.
»Die abeitslosen Kollegen ham besseret zu tun, waisste«, sagt er kurz und wendet sich wieder dem Computer zu.
»Aber was mache ich denn bloß?«, jammere ich ratlos. Er dreht sich zu mir um und mustert mich von oben bis unten:
»Wennde mich fragst …«
»Klar frage ich dich.«
»Also ick wüsste da schonn watt!«
»Was für eine absolut hirnlose Schnapsidee«, fluche ich vor mich hin, während ich mich im schmalen Flurspiegel kritisch in Augenschein nehme. Halbhohe, schwarze Pumps, dazu meine schmale, schwarze Hose, eine weiße Bluse und darüber einen schwarzen V-Ausschnitt-Pullover. So weit, so gut. Mit böser Vorahnung lasse ich den Blick höher schweifen und stoße entsetzt die Luft aus. »Ausgeschlossen«, fahre ich Lutz beziehungsweise Matze an, der grinsend und mit verschränkten Armen hinter mir steht. »So gehe ich nicht unter
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