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Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)

Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)

Titel: Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Voosen
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unscheinbar und mäuschenhaft gehalten. Aber jetzt, in diesem Traum von einem Kleid, das ihren blassen Teint wunderschön betont, ist sie eine echte Augenweide. Die dunkelblonden, gewellten Haare hat sie locker aufgesteckt, das dezente Make-up unterstreicht ihren mädchenhaften Charme und die zarten Gesichtszüge. Während ich die Wassergläser mit San Pellegrino fülle, betrachte ich verstohlen Benjamin, der nun wirklich nicht das Schönste ist, das die Männerwelt zu bieten hat. Aber egal, Männer müssen nicht schön sein. Simon zum Beispiel ist sicher auch nicht schön im klassischen Sinne. Seine Nase ist ein bisschen zu groß, sein Körper zu spargelig. Aber er ist so ein toller Mann. Er hat mir immer aus der Jacke geholfen. Den Stuhl zurechtgerückt. Er hat sich sogar erhoben, wenn ich im Restaurant zur Toilette gegangen bin. Und niemals hat er wie ein stummer Fisch dagesessen und mich einer peinlichen Stille ausgesetzt. Nein, nie! Wenn wir geschwiegen haben, dann in stummer Einträchtigkeit.
    »Hee«, ruft Benjamin aus und holt mich zurück in die Gegenwart, in der ich soeben das Tischtuch mit Mineralwasser schwemme.
    »Oh Verzeihung«, sage ich schnell und tupfe mit einer Serviette an der Bescherung herum. Oh nein, ich habe schon wieder nicht meine Stimme verstellt. Hoffentlich ist es niemandem aufgefallen. Ich räuspere mich erneut, hole die Weißweinflasche und schenke ein. Das Schweigen zwischen den beiden empfinde ich mittlerweile als unerträglich, weshalb ich es schließlich mit glockenheller Stimme breche:
    »Entschuldigen Sie, wenn ich das sage, aber mit diesem Kleid könnten Sie zur Oscarverleihung gehen. Es ist wirklich wundervoll«, sage ich und werfe Benjamin auffordernde Blicke zu, die er stoisch ignoriert. Dieser Esel. »Finden Sie nicht auch?«, nötige ich ihn.
    »Oh ja«, gibt er zurück. Ein bisschen mehr Enthusiasmus könnte nicht schaden, denke ich verstimmt.
    »Wirklich außergewöhnlich«, fahre ich fort. »Ach, wie wird denn der Abend überhaupt weitergehen?« Fragend sieht Lydia ihren Mann an.
    »Nun, das ist eine Überraschung«, gibt Benjamin zurück.
    »Wie schön.« Damit stelle ich die gemischte Sushiplatte, die ich vor zwanzig Minuten superfrisch bei »Raw like Sushi« abgeholt habe, in die Mitte des Tisches und rattere die Namen und Zutaten sämtlicher Maki-Rollen darauf herunter. »Guten Appetit«, wünsche ich dann, wobei mir auffällt, dass ich unbemerkt wieder in meine normale Stimmlage zurückgefallen bin. Mist! Paul spielt noch immer selbstvergessen auf seiner Fiedel und scheint gar nicht mitzubekommen, was um ihn herum passiert. Soweit ich das als Laie beurteilen kann, ist er richtig gut. Ich will mich gerade zurückziehen, als ich Lydia sagen höre:
    »Mendelssohn.«
    »Wie bitte?«
    »Die Musik«, sagt sie lächelnd. »Du hast es nicht vergessen.«
    »Äääh«, macht Benjamin und sieht dabei noch mehr wie ein Fisch aus als ich mit meinem Riesenmaul. Verstohlen versuche ich, ihm ein Zeichen zu machen. »Nein, natürlich habe ich es nicht vergessen«, sagt er dann mit fester Stimme, nachdem er sich von dem ersten Schrecken erholt hat, und ich atme erleichtert aus. Na also! Schließlich ist der gute Mann Unternehmensberater. Da erwarte ich doch, dass er in jeder Lebenslage wenigstens den Anschein erweckt, als ob er alles im Griff hätte. Ich werfe Paul noch einen dankbaren Blick zu und entferne mich dann diskret von den dreien, um mich in etwa zwanzig Metern Entfernung auf einem Treppenabsatz niederzulassen. Bereits wenige Minuten später sehne ich mir einen der vier Heizpilze herbei. Wenn ich hier noch länger regungslos sitzenbleibe, friere ich fest. Also zwinge ich mich, aufzustehen und mit den Armen schlenkernd auf und ab zu hüpfen. Dann laufe ich auf der Stelle, wobei ich die Knie kräftig in Richtung Brust ziehe. Langsam beschleunigt sich mein Atem, meine Muskeln werden wärmer.
    »Was machst du denn da«, höre ich eine Stimme hinter mir sagen, und ich fahre erschrocken zu Benjamin herum.
    »Mir ist kalt«, sage ich so würdevoll wie möglich. »Fehlt es an irgendetwas?«
    »Nein, aber ich brauche deinen Rat. Irgendwie läuft der Abend nicht ganz nach Plan.«
    »Tatsächlich?« Ich schaue an ihm vorbei und sehe eine völlig in sich zusammengesunkene Lydia einsam und allein am Tisch sitzen. Jetzt wischt sie sich mit einer der blütenweißen Stoffservietten, die ich eigens gebügelt und in Schwanenform gefaltet habe, über das Gesicht. »Sag mal, weint deine Frau

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