Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
Leute.«
»Sieht doch juut aus«, meint er achselzuckend, und ich mustere verächtlich mein Spiegelbild. Mit der hellblonden, schulterlangen Ponyfrisur sehe ich irgendwie aus wie Daryl Hannah. Nur nicht so gut. Misstrauisch sehe ich in meine Augen mit den hellbraunen Kontaktlinsen, die mir Lutz unter großem Geschrei meinerseits auf die Hornhaut platziert hat. Ich finde nicht, dass es gut aussieht, irgendwie blass und unscheinbar. Aber die Aussicht, mir die Linsen wieder aus den malträtierten Augen pulen zu müssen, ist noch schlimmer. Meine hellgrünen Augen sind sonst immer der Blickfang, mit diesen farblosen Dingern komme ich mir vor wie ein Maulwurf. Dafür rückt mein Mund, den Lutz knallrot angepinselt hat, plötzlich geradezu obszön in den Vordergrund. Waren meine Lippen eigentlich immer schon so üppig?
»Ich sehe aus wie einer von diesen komischen Fischen, weißt du, die mit dem breiten Maul«, sage ich und klappe probeweise meinen Mund auf und zu.
»Kannse ma aufhören, hier rumzumeckan?«, fragt Lutz, und ich nicke ergeben. Dann bin ich eben heute Abend »Antonia, die Kellnerin«, wie er mich spontan getauft hat.
»Schon gut«, sage ich unwirsch. »Würdest du jetzt bitte losfahren und Lydia abholen? Der Jaguar steht unten auf der gegenüberliegenden Straßenseite.« Damit werfe ich ihm den Schlüsselbund zu.
»Also denne«, meint er gutgelaunt.
Ein letzter Blick in den Spiegel, dann werfe ich mir rasch meinen schwarzen Wintermantel über und folge ihm die Treppen hinunter.
Um Punkt halb acht stehe ich unter einem der vier Heizpilze, ein Tablett mit zwei Champagnergläsern im Anschlag, einen schweigsamen Geiger im schwarzen Anzug neben und den liebevoll gedeckten Tisch mit der Sushiauswahl vor mir. Die edle weiße Tischdecke mit den roten Rosenblättern verdeckt meine etwas schiefen, alten Plastikbalkonmöbel, die windgeschützte Ecke des Campus, die ich mir ausgesucht habe, erstrahlt im Glanz Dutzender Teelichter.
»Alles klar?«, erkundige ich mich bei Paul, der mit dem unvermeidlichen »Jo« antwortet. Als in einiger Entfernung drei Personen auf uns zukommen, hebt er die Geige unter das Kinn und beginnt zu spielen. Fasziniert betrachte ich sein sich von einer Sekunde auf die andere veränderndes Gesicht. Der gelangweilte Ausdruck daraus ist verschwunden, es scheint plötzlich von innen heraus zu leuchten, während er konzentriert und voller Leidenschaft das Violinkonzert von Mendelssohn geigt. Jedenfalls hoffe ich, dass es sich wirklich um Mendelssohn und damit um Lydias Lieblingskomponisten handelt. Kunstbanause, der ich bin, bleibt mir nichts anderes übrig, als Paul in diesem Punkt voll zu vertrauen. Ich prüfe noch einmal den Sitz meiner Perücke und trete dann mit einem strahlenden Lächeln auf Benjamin und Lydia zu. Letztere krallt sich am Arm ihres Mannes fest und starrt mit offenem Mund auf die Bescherung.
»Das gibt’s doch nicht«, flüstert sie, während ich ihr die Champagnerflöte in die Hand drücke. Ich räuspere mich und sage mit hoher Stimme:
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Frau Walsenfels.« Ich klinge wie ein Transvestit, aber einen Dialekt konnte ich mir auf die Schnelle nicht mehr aneignen. Also muss es so gehen. Lutz grinst mich unverschämt an und sagt:
»Viel Verjnügen, wa? Ick warte dann im Wagen.« In diesem Moment leuchtet in Benjamins hellblauen Augen das Erkennen auf. Na, das hat aber gedauert. Ich werfe ihm einen beschwörenden Blick zu und führe die beiden zum Tisch. Dann helfe ich Lydia aus ihrem dunkelbraunen Mantel, weil Benjamin, der alte Töffel, keine Anstalten macht, dies zu übernehmen. Darunter kommt ein atemberaubendes, bodenlanges Abendkleid in Feuerrot zum Vorschein. Wahnsinn!
Lydia spürt meinen Blick, errötet leicht und setzt sich auf den Stuhl, den ich für sie vom Tisch abrücke, während ich gleichzeitig Benjamin vorwurfsvoll ansehe. Hat der Typ überhaupt so etwas wie eine Kinderstube genossen? Ist ja nicht zu fassen. Außerdem hat er bis jetzt noch kein Wort gesagt. Das kann ja heiter werden. Hoffentlich denkt er nicht, dass ich jetzt hier den Pausenclown gebe. Dafür bin ich nicht hier. Ich bin da, um ein angenehmes und romantisches Ambiente zu schaffen. Was er daraus macht, ist seine Sache. Auffordernd sehe ich ihn an. Er blickt verständnislos zurück. Verärgert schüttele ich den Kopf. Was für ein Depp. Da sitzen sie sich gegenüber, die beiden. Lydia sieht wirklich hinreißend aus. Ich hatte sie immer für eher
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