Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit geschlossenen Augen

Mit geschlossenen Augen

Titel: Mit geschlossenen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Panarello
Vom Netzwerk:
plapperst du da noch herum? Siehst du nicht, dass die Versammlung aus ist?«, fragte er und klatschte ungeduldig in die Hände.
Heute freue ich mich, diese nette Bekanntschaft gemacht zu haben; ich hoffe natürlich, dass es nicht dabei bleibt. Du weißt, Tagebuch, ich kann sehr ausdauernd sein, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe. Als Erstes will ich seine Telefonnummer, und die kriege ich mit Sicherheit. Danach will ich ... na, du kannst es dir schon denken: einen Platz in seinen Gedanken. Aber du weißt auch, was ich ihm vorher dafür geben muss ...
10. Oktober 2001 17 Uhr 15
    Heute ist ein trister, feuchter Tag, der Himmel ist grau und die Sonne ein bleicher, verschwommener Fleck. Heute Morgen hat es nur ein wenig genieselt, jetzt blitzt es, dass man meint, jeden Augenblick fällt der Strom aus. Aber das Wetter ist mir völlig schnuppe, ich bin überglücklich.
    Vor der Schule die üblichen Geier, die einem irgendein Buch oder Flugblatt andrehen wollen und sich nicht mal vom Regen abschrecken lassen. Auch Robertos Freund — mit grünem Trench und wie üblich eine Zigarillo im Mundwinkel ‒ stand da und teilte lächelnd rote Zettel aus. Als er zu mir kam, um mir auch einen zu geben, habe ich ihn ziemlich bedeppert angeguckt, weil ich nicht wusste, was ich tun, wie ich mich verhalten sollte. Ich hauchte ein schüchternes Danke und ging in Gedanken versunken langsam weiter.
    Eine so gute Gelegenheit bietet sich dir nie wieder, dachte ich, kritzelte meine Telefonnummer auf das Flugblatt und ging damit zurück.
»Was, du gibst mir den Zettel wieder? Warum wirfst du ihn nicht einfach weg, wie die andern?«, fragte der Typ grinsend.
»Ich möchte, dass du ihn Roberto gibst«, sagte ich.
»Aber Roberto hat hunderte davon«, rief er verwundert aus.
Ich biss mir auf die Lippen und sagte: »Roberto interessiert vielleicht, was ich hinten drauf geschrieben habe ...«
»Ach so ... verstehe ...«, sagte er noch erstaunter. »Keine Sorge, ich sehe ihn nachher und geb ihm den Zettel.«
»Vielen Dank!« Am liebsten hätte ich ihm einen Kuss auf die Wange gedrückt.
Ich war schon ein gutes Stück weitergegangen, als ich jemanden nach mir rufen hörte, den Kopf wandte und den Flugblattverteiler auf mich zurennen sah.
»Ich wollte dir noch sagen, dass ich Pino heiße«, meinte er ganz außer Atem. »Und du bist Melissa, nicht?«
»Ja ... wie ich sehe, hast du das Blatt sofort umgedreht.«
»Tja, was will man machen«, erwiderte er grinsend, »intelligente Menschen sind nun mal neugierig. Bist du neugierig?«
»Sehr«, erwiderte ich mit geschlossenen Augen.
»Siehst du? Dann bist du auch intelligent.«
Mit geschmeicheltem Ego und hoch zufrieden verabschiedete ich mich von ihm und ging zu dem kleinen Sammelplatz vor der Schule, der wegen des schlechten Wetters halb leer war. Es dauerte ein bisschen, bis ich mein Mofa hatte, um diese Uhrzeit herrscht ein fürchterlicher Verkehr, und man kommt selbst mit dem Roller kaum durch. Ein paar Minuten später klingelte mein Handy.
»Ja?«
»Ähem ... ciao, hier ist Roberto.«
»He, ciao!«
»Du hast mich überrascht, weißt du das?«
»Ich gehe gern auf Risiko ‒ auch auf die Gefahr hin, dass man mir die Tür vor der Nase zuknallt. Du hättest mich ja nicht anzurufen brau- chen ...«
»Nein, ich finde es klasse, dass du Pino deine Nummer mitgegeben hast. Sonst hätte ich dich bei nächster Gelegenheit darum gebeten. Das Problem ist nur ... meine Freundin geht auf die gleiche Schule wie du ...«
»Ah, du hast ein Freundin ...«
»Ja, aber ... das ist egal.«
«... mir auch.«
»Warum wolltest du mich eigentlich anrufen?«
»Warum hättest du es denn gewollt?«
»Ich hab zuerst gefragt.«
»Weil ich dich besser kennen lernen möchte und gern ein bisschen Zeit mit dir verbringen würde ...«
Schweigen.
»Jetzt bist du dran.«
»Idem. Obwohl du weißt, unter welcher Voraussetzung: Ich habe meine Verpflichtungen ...«
»Von solchen Verpflichtungen halte ich wenig ‒ sie hören auf, welche zu sein, sobald man nicht mehr daran glaubt.«
»Wollen wir uns morgen Vormittag treffen?«
»Nein, morgen nicht, da hab ich Schule. Lieber am Freitag, da ist Streik. Und wo?«
»Um halb elf vor der Uni-Mensa.«
»Okay.«
»Dann bis Freitag, ciao.«
»Bis Freitag, Küsschen.«
14. Oktober 2001 17 Uhr 30
     
Natürlich war ich wieder viel zu früh dran. Das Wetter ist wie vor vier Tagen, entsetzlich monoton.
    Aus der Mensa kam Knoblauchgeruch, und dort, wo ich stand, konnte ich die Köchinnen mit den

Weitere Kostenlose Bücher