Mit Haut und Haar: 6. Fall mit Tempe Brennan
Gestaltungszimmer, dem Raum der Sargträger und zu den Salons eins und zwei.
Salon zwei war für jemanden mit dem Namen Eldridge Maples reserviert.
Ich zögerte. War »Gestaltungszimmer« ein Euphemismus für Büro? War der »Empfang« für die Lebenden? Weiße Plastikpfeile zeigten mir, dass beide Räumlichkeiten direkt vor mir lagen.
Ich trat durch die Tür des Foyers in eine überladene Halle mit tiefem, lavendelfarbenem Teppich und blassrosa Wänden. Türen und Holzverzierungen waren hochglänzend weiß lackiert, falsche korinthische Säulen mit Rosetten und Voluten auf Deckenhöhe schmückten in Abständen die Wände.
Oder waren es dorische? Hatten korinthische Säulen nicht Kapitelle als Abschluss? Nein, korinthische hatten Rosetten.
Hör auf!
Queen-Anne-Sofas und -Zweisitzer standen zwischen den Säulen. Eine Großvateruhr hielt Wache am anderen Ende des Korridors, und ihr leises, stetiges Ticken war das einzige Geräusch in der erdrückenden Stille.
»Hallo?«, rief ich leise.
Niemand antwortete. Niemand erschien.
Ich versuchte es noch einmal, nun etwas lauter.
Die Uhr tickte weiter.
»Ist jemand da?«
Es war mein Vormittag der tickenden Uhren.
Ich wollte mich eben zwischen »Gestaltung« und »Empfang« entscheiden, als mein Handy klingelte. Ich erschrak und schaute mich dann um in der Hoffnung, dass niemand meine Nervosität bemerkt hatte. Als ich niemanden sah, eilte ich ins Foyer hinaus und schaltete das Gerät ein.
»Ja?«, zischte ich.
»Yo.«
Ich verdrehte mal wieder die Augen. Hatte der Mann nie gelernt, »Hallo« zu sagen?
»Ja!«, zischte ich noch einmal.
»Sind Sie in ’ner Kirche oder so was?« Slidell klang, als würde er eins seiner allgegenwärtigen Snickers bearbeiten.
»So was.«
»Wo zum Teufel sind Sie?«
»Bei einer Beerdigung. Warum rufen Sie an?«
Eine Pause entstand, in der Slidell offensichtlich über diese Frage nachdachte.
»Doc Larabee hat mich gebeten, Sie anzurufen. Er sagte, er habe Antwort von der Dokumentenabteilung bekommen, und meinte, dass Sie vielleicht Bescheid wissen wollen.«
Einen Augenblick lang wusste ich nicht, wovon er sprach.
»Der Zettel, den Sie und Doc in Aikers Unterhose gefunden haben.«
Ich machte mir nicht die Mühe, ihn auf den korrekten Fundort des Zettels hinzuweisen.
»Doc meinte, ich soll Ihnen sagen, dass Sie Recht hatten mit Columbia«, sagte Slidell.
Es war zwar irrational, aber ich drehte den Rücken zur Tür in die Halle, als hätte ich Angst, der tote Mr. Maples könnte mich belauschen.
»Der Schreiber der Notiz hatte vor, nach Columbia zu fahren?«
»Sieht so aus. Die Jungs von der Doku-Abteilung haben irgendein Voodoo-Licht benutzt, mit dem sie ein paar der fehlenden Buchstaben entziffern konnten.«
»Sonst noch was?«
In der Nähe der Kapelle oder der Garage knallte eine Tür. Ich schob die Eingangstür einen Spalt auf und spähte hinaus. Es war niemand zu sehen.
»Das einzige andere Wort, das sie noch entziffern konnten, war Cousins.«
Mein Hirn sprühte Funken wie bei einem Kurzschluss.
Keine Frage. Cousins Dreck. Fahre nach Columbia.
Es war, als würde man mich mit einer Ohrfeige wecken.
Ein kleiner, muskulöser Mann mit dichten schwarzen Haaren. Ein FWS-Beamter, der nichts über Bärenwilderei wusste.
Palmer Cousins.
Slidell redete weiter, aber ich hörte ihm nicht mehr zu. Ich erinnerte mich an eine Unterhaltung mit Ryan. Die Überreste aus dem Außenklo wurden am Dienstag gefunden. Der Sensenmann begann seine Fotoüberwachung am Mittwoch.
Palmer Cousins war an diesem Samstag auf der Foote-Farm gewesen. Er wusste, was Boyd gefunden hatte.
Hatte Cousins mir das Eichhörnchen an die Windschutzscheibe geklemmt? War auch das eine Drohung des Sensenmannes? Verfolgte er mich? Hatte er Katy in seiner Gewalt? Würde er ihr etwas antun, um mich zu kriegen?
Mein Herz hämmerte, die Hand am Telefon wurde schweißfeucht.
»Ich rufe Sie später zurück.«
Slidell stammelte etwas, aber ich schaltete aus.
Mit zitternden Händen steckte ich das Handy in meine Handtasche und stürmte durch die Vordertür.
Und knallte gegen eine Brust wie Beton.
Der Mann war ungefähr so groß wie ich und trug einen schwarzen Nadelstreifenanzug und ein blendend weißes Hemd.
Ich murmelte eine Entschuldigung und trat zur Seite, um dem Mann Platz zu machen.
Ein Arm schoss vor. Stahlharte Finger umklammerten meinen Bizeps.
Ich spürte, wie mein Körper herumgewirbelt wurde, sah dichte, schwarze Haare, mein Gesicht in
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