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Mit Haut und Haar: 6. Fall mit Tempe Brennan

Mit Haut und Haar: 6. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Mit Haut und Haar: 6. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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und Schwuchteln. So nannte er die, na, Sie wissen schon.«
    Sie suchte sich ein neues Tempo, schnauzte sich wieder.
    »Es war, als würde man an einen Stein hinreden. Bis zum Tag seines Todes glaubte Charlie senior, dass Charlie junior einfach etwas zäher werden müsse. Das sagte er ihm die ganze Zeit. Du musst zäher werden, Junge. Sei ein Mann. Niemand mag Weicheier.«
    Ich schaute mir den Jungen auf dem Foto an und dachte an coole Jungs, die in der Schule die Schwächeren schikanieren. An Jungs, die kleineren Jungs das Geld fürs Mittagessen abnehmen. An großmäulige Schläger, die auf Fehlern und Schwächen herumhacken und andere bluten lassen wie unverheilte Wunden. An Jungs, die ihre Opfer verspotten, quälen und verfolgen, bis die schließlich ihr ganzes Selbstvertrauen verlieren.
    In mir regten sich Wut, Frustration und Traurigkeit.
    »Nachdem Charlie von zu Hause weggegangen war, beschloß er, als Frau zu leben«, vermutete ich.
    Sie nickte.
    »Ich bin nicht ganz sicher, wann er es tat, aber genau das tat er. Er …«, sie kämpfte mit dem korrekten Pronomen, »… sie besuchte uns einmal, aber Charlie senior bekam einen Anfall und schrie, er dürfe erst wieder herkommen, wenn er wieder normal geworden sei. Ich hatte Charlie seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen, als er …«, wieder das Problem mit dem Pronomen, »… als sie verschwand.«
    Verschwörerisches Lächeln.
    »Ich habe allerdings mit ihm gesprochen. Charlie senior wusste das nicht.«
    »Oft?«
    »Er rief ungefähr einmal im Monat an. Er war ein Parkaufseher, wissen Sie.«
    »Ein Beamter des Fish and Wildlife Service. Das ist ein sehr anspruchsvoller Beruf.«
    »Ja.«
    »Wann haben Sie das letzte Mal mit Charlie junior gesprochen?«
    »Das war Anfang Dezember vor fünf Jahren. Kurz darauf erhielt ich einen Anruf von einem Polizisten, der mich fragte, ob ich wisse, wo Charlotte ist. So nannte sich Charlie junior inzwischen.«
    »Arbeitete Ihr Sohn zur Zeit seines Verschwindens an einem speziellen Fall?«
    »Es hatte irgendwas mit Leuten zu tun, die Bären umbrachten. Er war ziemlich aufgebracht deswegen. Sagte, dass die Leute nur wegen ein paar Dollar die Bären in Massen abschlachteten. Aber wenn ich mich recht erinnere, redete er so darüber, als wäre das eine Art Nebenbeschäftigung, kein offizieller Auftrag. Als wäre es etwas, über das er zufällig gestolpert ist. Ich glaube, offiziell hatte er sich um Schildkröten zu kümmern.«
    »Hat er irgendwelche Namen genannt?«
    »Ich glaube, er sagte etwas von einem Chinesen. Aber Moment mal.« Sie tippte sich mit knochigem Finger an die Lippen und streckte ihn dann in die Luft. »Er sagte, es gebe da einen Kerl in Lancaster und einen in Columbia. Ich weiß nicht mehr, ob das mit Bären oder mit Schildkröten zu tun hatte, aber ich weiß noch, dass ich mich danach wunderte, weil er doch oben in North Carolina arbeitete, nicht hier unten.«
    Der Kuckuck trällerte zweimal, eine halbe Stunde war vergangen.
    »Noch Kaffee?«
    »Nein, danke.«
    Sie stand auf, um sich nachzugießen. Ich sprach zu ihrem Rücken.
    »Man hat ein Skelett gefunden, Mrs. Cobb. Ich glaube, dass es von Ihrem Sohn stammen könnte.«
    Ihre Schultern sackten herab.
    »Wird mich jemand anrufen?«
    »Ich rufe Sie persönlich an, wenn wir uns sicher sind.«
    Sie ballte die Fäuste und steckte sie in die Tasche ihrer Strickjacke.
    »Mrs. Cobb, darf ich Ihnen noch eine letzte Frage stellen?«
    Sie nickte.
    »Warum haben Sie das alles nicht den Beamten mitgeteilt, die das Verschwinden Ihres Sohns untersuchten?«
    »Charlie senior meinte, Charlie junior ist wahrscheinlich nach San Francisco oder sonst wohin verduftet, wo er das Leben führen kann, das er will. Ich glaubte ihm.«
    »Hat Ihr Sohn je irgendetwas gesagt, das auf so einen Umzug hindeutete?«
    »Nein.«
    Sie hob ihren Becher an die Lippen und stellte ihn auf die Anrichte zurück.
    »Schätze, ich habe geglaubt, was ich glauben wollte.«
    Ich stand auf. »Ich muss mich jetzt verabschieden.«
    An der Tür stellte sie mir noch eine letzte Frage.
    »Lesen Sie viel in der Bibel?«
    »Nein, Ma’am, das tue ich nicht.«
    Ihre Finger zerknüllten das Tempo.
    »Ich verstehe die Welt nicht.« Kaum hörbar.
    »Mrs. Cobb«, sagte ich, »es gibt Tage, da verstehe ich mich selber nicht.«
    Während ich zwischen den Windrädchen hindurchging, spürte ich Blicke in meinem Rücken. Blicke voller Verlustschmerz und Traurigkeit und Verwirrung.
    Als ich auf mein Auto zuging, stach mir

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