Mit Haut und Haar: 6. Fall mit Tempe Brennan
Zikaden verstummten. Hin und wieder hörte ich Stimmen, ein Funkgerät, eine entfernte Sirene.
Während Larabee den Torso des Passagiers bearbeitete, suchte ich nach den verstreuten Überresten des völlig zersplitterten Kopfes.
Zähne. Augenhöhlenknochen. Ein Stück Unterkiefer. Jedes Fragment überzogen mit dem schuppigen schwarzen Belag.
Der Pilot war nur damit gesprenkelt gewesen, der Passagier jedoch völlig verkrustet. Ich hatte keine Ahnung, was für eine Substanz das sein konnte.
Sobald ich einen Behälter gefüllt hatte, brachte Hawkins einen neuen.
Irgendwann hörte ich, dass Arbeiter einen tragbaren Generator und Scheinwerfer aufstellten.
Das Flugzeug stank nach verkohltem Fleisch und Kerosin. Ruß wirbelte durch die Luft und verwandelte die enge Kabine in eine kleine Staubwüste. Rücken und Knie taten mir weh. Ich suchte vergeblich nach einer bequemeren Haltung.
Ich kramte in meinen Erinnerungen, um wenigstens einen kühlen Kopf zu bewahren.
Ein Swimmingpool. Chlorgeruch. Die raue Oberfläche der Planken unter meinen Füßen. Der Kälteschock beim ersten Sprung.
Der Strand. Wellen an meinen Knöcheln. Wind auf dem Gesicht. Kühler, salziger Sand an meiner Wange. Die kühle Brise der Klimaanlage auf sonnengecremter Haut.
Eis am Stiel.
Eiswürfel, die in Limonade klirrten.
Wir waren fast fertig, als die letzten rosa und gelben Schlieren des Tages hinter dem Horizont verschwanden.
Hawkins ging noch ein letztes Mal zum Transporter. Larabee und ich zogen die Overalls aus und packten den Ausrüstungskoffer. An der Teerstraße drehte ich mich noch einmal für einen letzten Blick um.
Die Dämmerung hatte der Landschaft die Farbe geraubt. Die Sommernacht übernahm und tauchte Maisstauden, Felsen und Bäume in Schattierungen von Grau und Schwarz.
In der Bühnenmitte erstrahlten das verunglückte Flugzeug und die Einsatzkräfte wie eine makabre Shakespeare-Aufführung in einem Maisfeld.
Ein Mittsommernachtsalbtraum.
Ich war so erschöpft, dass ich die Heimfahrt fast ganz verschlief.
»Soll ich Sie am Institut absetzen, damit Sie Ihr Auto holen können?«
»Bringen Sie mich nach Hause.«
Das war unsere gesamte Unterhaltung.
Eine Stunde später setzte Larabee mich neben meiner Veranda ab.
»Bis morgen?«
»Ja.«
Natürlich. Ich habe ja kein Privatleben.
Ich stieg aus und knallte die Tür zu.
Die Küche war dunkel.
Licht im Arbeitszimmer?
Ich schlich auf Zehenspitzen die Rückwand entlang und spähte um die Ecke.
Dunkel.
Oben?
Dasselbe.
»Gut«, sagte ich und kam mir blöd vor. »Hoffentlich ist er nicht da.«
Ich schloss die Hintertür auf und betrat die Küche.
»Hallo?«
Nicht das leiseste Geräusch.
»Bird?«
Keine Katze.
Ich warf den Rucksack auf den Boden, knotete die Stiefel auf und zog sie aus, öffnete dann die Tür und stellte sie nach draußen.
»Birdie?«
Nichts.
Ich ging ins Arbeitszimmer und schaltete die Deckenbeleuchtung an.
Vor Entsetzen klappte mir die Kinnlade herunter.
Ich war dreckig, erschöpft und Lichtjahre von jeglicher Höflichkeit entfernt.
»Was zum Teufel machst du denn hier?«
7
Ryan öffnete ein sehr blaues Auge.
»Sagst du eigentlich je mal was anderes zu mir?«
»Ich rede mit ihm.«
Ich deutete mit rußigem Finger auf Boyd.
Der Hund lag schlafend an einem Ende der Couch, die Pfoten baumelten über den Rand. Ryan lümmelte am anderen Ende, die Beine ausgestreckt, die Füße über Kreuz auf dem Rücken des Hundes.
Keiner von beiden trug Schuhe.
Als Boyd meine Stimme hörte, setzte er sich sofort kerzengerade auf.
Ich bewegte den Zeigefinger nach unten.
Boyd schlich sich auf den Boden. Ryans Riesenfüße fielen auf das Polster.
»Verstoß gegen die Möbelgesetze?« Jetzt waren beide Augen offen.
»Wie ich sehe, hast du den Schlüssel gefunden.«
»Null Problemo.«
»Wie kam denn Mundgeruch hier rein, und warum hat er dich einfach ins Haus latschen lassen?«
Boyd und Ryan schauten einander an.
»Ich nenne ihn eigentlich Hooch. Hab ich aus einem Film. Dachte, das passt zu ihm.«
Boyd spitzte die Ohren.
»Wer hat Hooch reingelassen, und warum hat er dich reingelassen?«
»Hooch kennt mich noch von der TransSouth-Katastrophe oben in Bryson City.«
Das hatte ich ganz vergessen. Als sein Partner während eines Gefangenentransports von Georgia nach Montreal ums Leben gekommen war, hatte man Ryan angeboten, an den Unfallermittlungen des NTSB mitzuarbeiten. Damals, in den Bergen von Carolina, hatten Boyd und er sich kennen
Weitere Kostenlose Bücher