Mit Haut und Haar: 6. Fall mit Tempe Brennan
gelernt.
»Wie kam Hooch hier rein?«
»Deine Tochter hat ihn gebracht.«
Boyd schob seine Schnauze unter Ryans Hand.
»Nettes Mädchen.«
Netter Hinterhalt, dachte ich und unterdrückte ein Lächeln. Katy dachte wohl, ein Gast könnte den Hund nicht rauswerfen.
»Netter Hund.«
Ryan kraulte Boyd hinter den Ohren, stellte die Füße auf den Boden und musterte mich von Kopf bis Fuß.
»Nette Erscheinung.«
Meine Kleidung war dreckig, die Fingernägel mit Schlamm und Ruß verbacken. Meine Haare waren verfilzt und schweißfeucht, die Wangen gerötet von unzähligen Insektenstichen. Ich stank nach Mais, Kerosin und verkohltem Fleisch.
Wie würde meine Schwester Harry mich beschreiben? Scharf geritten und nass in den Stall gestellt.
Aber ich war nicht in Stimmung für Modekritik.
»Ich habe gegrillte Hirnmasse zusammengekratzt, Ryan. Da würdest du auch nicht aussehen wie aus der Dior-Werbung.«
Boyd musterte mich, behielt aber seine Gedanken für sich.
»Hast du schon was gegessen?«
»Der Empfang war ohne Verköstigung.«
Als Boyd meinen Ton hörte, schob er seine Schnauze wieder unter Ryans Hand.
»Hooch und ich haben an Pizza gedacht.«
Boyd wackelte mit dem Schwanz, als er seinen neuen Spitznamen hörte. Oder wegen der Erwähnung von Pizza.
»Er heißt Boyd.«
»Warum gehst du nicht nach oben und machst dich ein wenig frisch? Boyd und ich wollen mal sehen, was wir aufs Feuer stecken können.«
Aufs Feuer stecken?
Ryan wurde in Nova Scotia geboren, verbrachte aber sein ganzes Leben in der Provinz Quebec. Obwohl er weit gereist ist, hat er einen typisch kanadischen Blick auf die amerikanische Kultur. Rednecks. Gangster. Cowboys. Hin und wieder versucht er, mich mit seinem Westernslang zu beeindrucken. Ich hoffte, er wollte das nicht gerade jetzt tun.
»Ich brauche aber ein paar Minuten«, sagte ich.
»Lass dir Zeit.«
Gut. Kein »Ma’am« und kein imaginäres Stetson-Lüpfen.
Dann, als ich die Treppe hochstapfte: »… , Miz Kitty.«
Noch eine schaumige, dampfige Badesitzung, um Körper und Seele vom Geruch des Todes zu befreien. Lavendel-Duschgel, Wacholder-Shampoo, Rosmarin-Minze-Conditioner. Mein Verbrauch an Duftkräuter-Extrakten war in letzter Zeit ziemlich hoch.
Während ich mich einseifte, dachte ich an den Mann im Erdgeschoss.
Andrew Ryan, Lieutenant-détective, Section de Crimes contre la Personne, Sûreté du Québec.
Ryan und ich arbeiteten seit fast einem Jahrzehnt zusammen, er als Detective im Morddezernat, ich als forensische Anthropologin. Als Spezialisten unserer jeweiligen in Montreal ansässigen Abteilungen hatten wir gegen Serienmörder ermittelt, gegen Biker-Banden, Weltuntergangssekten und gewöhnliche Kriminelle. Ich hatte im Labor gearbeitet, er auf der Straße. Eine rein dienstliche Beziehung.
Im Lauf der Jahre hatte ich Geschichten über Ryans Vergangenheit gehört. Motorräder, Alkohol, Sauftouren, die in Ausnüchterungszellen endeten. Der beinahe tödliche Angriff eines Bikers mit dem abgeschlagenen Hals einer Budweiser-Flasche. Die langsame Wiederherstellung. Das Überlaufen zu den Jungs mit den weißen Hüten. Ryans Aufstieg bei der Provinzpolizei.
Ich hatte auch Geschichten über Ryans Gegenwart gehört. Der Zuchthengst des Reviers. Der Weiberheld.
Unwichtig. Für mich galt die eiserne Regel, nie etwas mit einem Kollegen anzufangen.
Nur hat Ryan seine Schwierigkeiten mit dem Befolgen von Regeln. Er hatte gedrängt, ich hatte widerstanden. Doch vor knapp zwei Jahren, als ich endlich die Tatsache akzeptiert hatte, dass Pete und ich in Freundschaft besser miteinander auskamen, hatte ich mich auf ein Rendezvous mit ihm eingelassen.
Rendezvous?
O Gott. Ich klang wie meine Mutter.
Ich quetschte mehr Lavendel auf meinen Schwamm und seifte mich noch einmal ein.
Wie nannte man das bei Singles über vierzig?
Miteinander ausgehen? Den Hof machen? Freien?
Egal. Bevor es ernst wurde, verschwand Ryan undercover. Nach seinem Wiederauftauchen gingen wir ein paarmal aus – zum Abendessen, ins Kino, zum Bowling –, aber zum Freien war es nie gekommen.
Ich stellte mir Ryan vor. Groß, schlank, die Augen blauer als der Himmel über Carolina.
In meinem Bauch regten sich Schmetterlinge.
Die erste Nacht!
Vielleicht war ich doch nicht so müde, wie ich dachte.
Im letzten Herbst, am Ende einer emotional schwierigen Zeit in Guatemala, hatte ich endlich beschlossen, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen. Ich hatte einem Urlaub mit Ryan zugestimmt.
Was konnte am
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