Mit Haut und Haar: 6. Fall mit Tempe Brennan
sogar die toten Mischlingsembryos, die das Weibchen ausbrütete, mit lebendigen, frisch geschlüpften Rotrücken-Jungen.«
»Ergebnis?«
»Drei Jungen und drei Mädchen.« Sni. Sni. Sni.
»Die beiden erwiesen sich als gute Eltern«, vermutete ich.
Rachel nickte.
»Und jetzt kommt die Überraschung. Obwohl die Jungen genetisch reinrassige Rotrücken waren, entwickelten sie Stimmen, die mit Dads identisch waren.«
»Das ist erstaunlich«, sagte ich.
»Die Forscher planten gerade, in Gefangenschaft geschlüpfte Spix-Jungen in das Nest zu legen, als der Große verschwand.«
»Die Unzertrennlichen waren immer noch ein Paar?« Ryan.
»Wir sprechen hier von Aras. Unzertrennliche sind Agapornis .«
Ein wenig Vogelhumor à la Rachel.
»In Gefangenschaft leben also noch einige Spix-Aras?«, fragte ich.
Rachel rümpfte verächtlich die Nase.
»Es gibt ungefähr sechzig in privaten Sammlungen.«
»Wo?«
»Auf einer kommerziellen Vogelfarm auf den Philippinen, auf dem Anwesen eines Scheichs in Katar und in einem privaten Aviarium in der nördlichen Schweiz. Ich glaube, es gibt auch einen im Zoo von São Paulo und ein paar in einem Papageienpark auf den Kanarischen Inseln.«
»Die Besitzer sind qualifizierte Ornithologen?«
»Die haben nicht mal einen Abschluss in Biologie.«
»Ist das legal?«
»Leider ja. Die Vögel werden als Privateigentum betrachtet, der Besitzer kann deshalb mit ihnen tun, was er will. Aber seit 1975 ist der Spix im Anhang I der CITES verzeichnet.«
Lose Partikel einer Idee entstanden in meinem Kopf.
»CITES?«
»Die Konvention über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten. Arten im Anhang I werden als gefährdet betrachtet, und der kommerzielle Handel mit Wildtieren ist nur unter außergewöhnlichen Umständen gestattet.«
Die Partikel begannen zu verschmelzen.
»Gibt es einen Markt für die Spix-Aras?«
»Die Spix-Aras waren schon im achtzehnten Jahrhundert selten, weil sie so hoch im Kurs standen bei Sammlern.« Das letzte Wort spuckte sie förmlich aus. »Heute könnte ein Spix hunderttausend Dollar oder mehr von einem gut betuchten Sammler einbringen.«
Wie mit einem Urknall wurde die Idee geboren.
Ich konnte es kaum abwarten, Slidell anzurufen.
Doch das war gar nicht nötig. Mein Handy klingelte, als ich vom Campus auf den University Boulevard einbog. Slidell.
»Hab mit dem Sheriff von Lancaster gesprochen.«
»Was hatte er?«
»Hauptsächlich Löcher.«
»Soll heißen?«
Ryan streckte die Hand aus und drehte seine CD von Hawksley Workman and the Wolves leiser.
»Nichts Genaues weiß man nicht.«
Das war nicht das, was ich hören wollte.
»Die Knochen sind wirklich an Ihren Kumpel Cagle gegangen.«
»Haben Sie ihn angerufen?«
»Haben Sie schon mal versucht, im August einen Akademiker ans Telefon zu bekommen?«
»Haben Sie es bei ihm zu Hause probiert?«
»Zu Hause. In seinem Büro. In seinem Labor. Habe mir schon überlegt, eine Séance mit seiner toten Großmutter abzuhalten.«
Slidell redete mit jemand anderem, meldete sich dann wieder bei mir.
»Die Sekretärin der Fakultät hat mir schließlich seine streng geheime Handy-Nummer gegeben. Der Kerl klang, als würde er rote Netzstrümpfe tragen.«
»Und?«
»Walter …«, Slidell verpasste dem Namen einen Dreiton-Triller, »… macht gerade eine Ausgrabung auf einer Insel vor Beaufort, South Carolina. Sagte, er wolle sich den Lancaster-Bericht von seinem Diplomanden an der Uni vorlesen lassen, sobald er mit dem Ausbuddeln eines toten Indianers fertig sei.«
»Das ist aber nett von ihm.«
»Ja. Hab mir schon überlegt, ob ich ihm Pralinen schicken soll.«
»Haben Sie die Beschreibung durch das NCIC-Programm laufen lassen?«
»Geschlecht nicht bekannt, Todeszeitpunkt nicht bekannt. Keine Angaben über Zähne, Tattoos, Fingerabdrücke, Größe, Gewicht. Ich würde einen Ausdruck so lang wie Soldiers Field bekommen.«
Slidell hatte Recht. Nur ausgehend von dem, was wir wussten, wäre eine Suche in der nationalen Datenbank für vermisste Personen sinnlos. Ich wechselte das Thema.
»Ryan und ich waren eben bei einer Ornithologin. Ihre Federn stammen von einem Vogel, der in freier Wildbahn seit 2000 ausgerottet ist.«
»Wie kamen die dann in Pounders Keller?«
»Gute Frage.«
»Haben Sie eine gute Antwort?«
»So ein Vogel kann hunderttausend Dollar bringen.«
»Sie wollen mich wohl verarschen. Wer zahlt denn hundert Riesen für einen Vogel?«
»Leute mit mehr Geld als Verstand.«
»Ist das
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