Mit Haut und Haaren
die Mühe gemacht zu lügen. Schließlich
sollte seine Ex so tun, als wären sie noch verheiratet. Ein Schauspieler, der weiß,
was er spielt, bringt bessere Leistung, außerdem war das Schöne an Exen, dass man
ihnen im Prinzip alles erzählen konnte. Erst nach einer
Beziehung waren die Leute bereit, einen so zu nehmen, wie man war. Vorausgesetzt,
dass sie einen dann noch sehen wollten.
»Roland, versteh ich dich richtig?«, hatte sie am Telefon gefragt, nachdem
er ihr die Sache erklärt hatte: »Du hast ein Verhältnis mit einer Rudolf-Höß-Spezialistin?!«
»So darfst du das nicht sehen. Ich denke nicht an Höß, wenn ich mit ihr
im Bett liege.«
»Woran denn dann?«
»An ihren Mann. Ab und zu. An sie. Herrgott noch mal, Sylvie, woran denken
die Leute, wenn sie Sex haben? An das Ende, dass sie gleich fertig sind und dann
endlich wieder an die Arbeit können.«
»Und Violet?«
»Violet weiß nichts davon. Das schien mir überflüssig.
Es würde ihr nur weh tun und die Sache unnötig komplizieren.«
»Und jetzt soll ich mitkommen und den anderen vorspielen, wir wären noch
verheiratet.«
»Ja«, hatte Roland gesagt. »Um ihren Mann zu [368] beruhigen. Er macht sich
offenbar Sorgen. Er fragt Lea: ›Wo gehst du jetzt wieder
hin? Warum triffst du dich so oft
mit diesem Ökonomen?‹ Er möchte mich kennenlernen, mich und meine Familie,
zu seiner Beruhigung, und ich betrachte es als meine Pflicht,
ihm den Gefallen zu tun. Ich bin ein verantwortungsvoller Mensch, und ich bitte
dich freundlich, als die Mutter meines Kinds, mir bei der Ausführung dieses Vorhabens
behilflich zu sein.«
Für einen Moment blieb es still.
»Ich will das gern machen«, sagte sie dann. »Unter einer Bedingung: Für
ein Semester pro Jahr kommst du ab jetzt regelmäßig in die Niederlande zurück. Wenn
du mir das versprichst, werde ich dir helfen.«
»Hältst du mich für bestechlich?«
»Bestechlich? Ich mache dir ein Angebot.«
»Du versuchst, mich zu erpressen. Was soll Jonathan davon denken? Dass
sein Vater käuflich ist?«
»Vielleicht kann er hiervon was lernen.«
Nicht dass das Essen bei Lea und ihrem Mann so wichtig war, doch er tat
Lea gern den Gefallen, und vielleicht würde es ein aufregendes Spiel; zugleich aber
waren es vier, wenn nicht gar fünf Stunden, in denen er die Geschichte der Spekulationsblase
vernachlässigen musste. Was ihn allerdings wirklich beunruhigte, war Sylvies Bereitwilligkeit,
bei diesem Spiel mitzumachen. So war sie sonst nicht. Sie musste verzweifelt sein.
Je größer ihre Verzweiflung, desto gewaltiger seine Schuld.
»Bereden wir das doch ein andermal. Ich hab dir versprochen, darüber
nachzudenken.«
Doch sie hatte geantwortet: »Was denkst du dir, Roland? [369] Nicht, dass
es mich noch was anginge, aber warum bist du überhaupt mit ihr ins Bett gegangen?
Warum hast du dich auf diese Affäre eingelassen?«
»Warum? Aus Höflichkeit. Sie wollte so gern. Und ich fand sie sympathisch.
Ich bin ein höflicher Mensch. Es hat auch Spaß gemacht, versteh mich nicht falsch.
Insgesamt war es ganz nett.«
»Sex ist keine Frage der Höflichkeit.«
»Sex ist eine Variante davon. Eine Fortsetzung, eine Ergänzung.«
Damit hatte er das Gespräch beendet. Mit einer Ex kann man über alles
reden, nur nicht über Sex.
Jonathan sitzt auf dem Boden vor einer Riesenkiste voll Spielzeug, das
Roland für ihn gekauft hat.
»In fünf Minuten kommt das Taxi«, sagt Roland. »Wir brauchen eine Dreiviertelstunde
bis Brooklyn, mindestens.«
Langsam erhebt Sylvie sich vom Bett. Sie wirkt müde, alt ist sie geworden,
doch er hat beschlossen, darüber keine Bemerkung zu machen. »Hast du gesehen, was
Jonathan anhat?«, fragt sie. »Das Hemd, das du ihm gekauft hast!«
»Na klar«, sagt Roland. Er hebt seinen Sohn hoch. »Wunderschön siehst
du aus«, flüstert er ihm ins Ohr, »toll! Du bist der
hübscheste, netteste und tollste Junge, den ich kenne, aber jetzt fahren wir nach
Brooklyn.«
Er holt einen großen Strauß Blumen aus dem Badezimmer, wo er ihn in der
Wanne deponiert hat. Um dem Bezirksbürgermeister gegenüber keinen Fauxpas zu begehen,
hat er ein Bukett für hundert Dollar gekauft. Er vögelt
Ranzenhofers Frau, da kann er wenigstens mit [370] vernünftigen
Geschenken ankommen. Sylvie hat auch noch etwas für Leas Kinder dabei.
Sie gehen die Treppe hinunter. Das Taxi wartet schon vor dem Haus.
Als sie auf dem Rücksitz Platz genommen haben, sagt Sylvie: »Der Mann
einer Patientin von mir ist
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