Mit Haut und Haaren
Handtuch
hin.
Der Paketbote nahm es, kniete sich ebenfalls auf den [357] Boden und begann
nun tatsächlich, die Scheiße aus dem Teppich zu rubbeln. Noch immer betäubt, wie
es schien.
Jason betrachtete den Jungen. Er legte das Handtuch beiseite, packte
mit beiden Händen Enriques Gesicht und sagte: »Macht nichts. Kann mal passieren.
Aber bereite dich nächstes Mal besser vor.«
Auf dem Boden kniend, zog Jason mit einiger Mühe den Fettstift aus seiner Tasche, cremte sich nochmals die Lippen ein und
presste sie auf die des Boten.
Dann flüsterte er: »Du bleibst hier. Amerika
ist dein Zuhause. Amerika ist dein Freund.«
Wieder presste er seine Lippen auf die des Boten.
Das war, was die Heiligen mit dem Begriff
»Gott« meinten. Es gab keinen anderen Gott neben diesem.
13
Ein Handtuch um die Hüften, sitzt
Meneer van Neste auf Sylvies Sofa. Sie hat ihre Nähmaschine aus dem Schrank geholt
und näht den um etwa zwei Zentimeter herausgelassenen Saum wieder um.
Erst hatte er sich gesträubt, doch sie hatte gesagt: »Es macht keine
Umstände. Ich tue es gern. Und wer tut es sonst, wenn nicht ich?«
Er war mit zu ihr gekommen, und sie hatte ihm ein Handtuch gegeben: »Legen
Sie sich das bitte um, während ich mich um die Hose kümmere.«
[358] Im Badezimmer hatte er sich umgezogen.
Trotz der drei jungen Genever gelang es ihr mühelos, das linke Hosenbein
zu verlängern.
Jetzt noch das rechte, dann ist es erledigt.
»Wenn Sie noch mehr Hosen haben, die Ihnen zu kurz sind, können Sie sie
mir gerne mal vorbeibringen«, sagt sie.
Ihr Handy klingelt.
Sie kramt es aus ihrer Tasche. Sie entschuldigt sich bei Meneer van Neste.
Es ist Jonathans Lehrerin. Seit einer Viertelstunde ist die Schule vorbei.
»Ich komme sofort«, sagt Sylvie.
Sie springt auf.
»Tut mir leid«, sagt sie zu Meneer van Neste. »Ich hab Jonathan vergessen.
Bleiben Sie sitzen. Ich bin in zehn Minuten zurück. Dann nähen wir die Hose zu Ende.
Nicht bewegen. Rühren Sie sich nicht von der Stelle. Hier ist was zu lesen!«
Sie wirft ihm eine Vrij
Nederland zu. Zu spät fällt ihr ein, dass es nicht sehr höflich ist, dem
Geigenlehrer die Wochenzeitschrift einfach so vor die
Füße zu schmeißen – aber nicht mehr zu ändern. Sie rennt die Treppe hinunter.
Sie hat ihren Sohn noch nie vergessen. Noch nie ist ihr das passiert.
Das ist nicht gut. Das darf nicht wieder vorkommen.
Als sie die Schule erreicht, liegt der Vorplatz verlassen da.
Jonathan sitzt in der Klasse an seinem Tisch, er blättert in einem Buch.
Die Lehrerin sitzt vorn am Pult.
[359] »Entschuldigung«, sagt Sylvie. »Tut mir sehr leid. Ein Notfall. Ein
Patient. Eine Wurzelbehandlung.«
Die Lehrerin schweigt.
Sylvie nimmt Jonathan bei der Hand. »Komm«, sagt sie.
Sie zieht ihm die Jacke an, hilft ihm, den
Rucksack aufzuziehen.
Auf der Straße sagt sie: »Wenn wir gleich nach Hause kommen, darfst du
dich nicht erschrecken. Meneer van Neste sitzt auf dem Sofa und hat ein Handtuch
um.«
Jonathan hält ihre Hand fest. Er sagt nichts.
14
Im Zug von New York nach Washington schickt Roland Lea eine SMS : »Vergiss bitte nicht, die Bettwäsche zu wechseln.
Ich will nicht, dass mich dein Mann riecht. X.«
[361] V
Der Preis des Fleisches
[363] 1
»Mach es bitte für alle Beteiligten so einfach wie möglich«,
schreibt Lea eine SMS an Roland.
Sie hatte ihrem Mann ausführlich von dem Wirtschaftswissenschaftler erzählt, musste
seitdem erklären, wo sie abends ab und zu hinging, und mochte es sowieso nicht,
zu lügen. So wenig lügen wie möglich, war immer ihre Devise gewesen. Und wieder
hatte ihr Mann gesagt: »Lad ihn doch mal zum Essen ein. Ich würde auch gern mal
sehen, mit wem du fast deine gesamte Freizeit verbringst. Frag ihn, ob er seine
Frau mitbringen möchte. Wir sind doch eine Familie?«
Lea hatte nicht gewagt, ihm zu erzählen, dass der Wirtschaftswissenschaftler gar nicht verheiratet
war. Er war verheiratet gewesen, doch das zählte nicht, und bei ihrem nächsten Treffen hatte sie Roland gesagt, dass ihr Mann ihn gern kennenlernen
wolle, doch dass es vielleicht eine gute Idee wäre, wenn er, Roland, nicht allein
kommen würde, sondern jemanden dabeihätte, am besten eine Frau. Weil ihr Mann davon
ausginge, er sei verheiratet. Leas Freundschaft zu ihm
wäre für Jason viel leichter zu ertragen, wenn Roland auch seinerseits gesetzlich
mit einer Frau verbunden sei, hatte Lea ihm auseinandergesetzt.
Roland hatte erwidert, dass seine Ex mit seinem
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