Mit heißer Nadel Jagd auf Kids
würde also nichts bringen.“
„Solche Hintergrundmusik kann
man vom Tonband abspielen“, meinte Tim. „Na, schön! Warten wir also bis 18 Uhr.
Das heißt, wir wollen vorher noch was anderes machen. Nämlich ein Interview.
Für unsere Schülerzeitung. Ein Interview mit Ihrem ungeliebten Schwiegersohn
Berthold Prickner. In seinem Laden — in Berts Tätowierstube — wollen wir uns
schlau machen über alles, was mit Tattoos und heißer Nadel zusammenhängt.
Vielleicht überkommt uns dann die Erleuchtung.“
„Aber erstmal begrüßen wir
Katja“, sagte Gaby.
Doch daraus wurde nichts, denn
als Schneider leise die Tür zum Schlafzimmer seiner Tochter öffnete, war die
19jährige tief eingeschlafen, hatte violette Erschöpfungsschatten unter den
Augen und offenbar Alpträume, denn ihre Hände zuckten fahrig auf der Bettdecke
herum.
„Dann später!“, flüsterte Gaby
und zog die Jungs zurück. Schneider schloss lautlos die Tür.
*
,Berts Tätowierstube’ lag in
einer Seitenstraße, eingequetscht zwischen dem Büro einer Versicherungsfirma,
die im Schaufenster ihre unverzichtbaren Zusatz-Rentenversicherungen anpries, und
einer Fahrschule. Der Tätowierstuben-Eingang sah nach nichts aus und führte
direkt in den ‚Behandlungsraum’. Tims Blick fiel sofort auf das Fenster im
Hintergrund, das breit und hoch und in zwölf Felder aufgeteilt war. Es führte
auf einen düsteren Hinterhof.
„Hallo!“, sagte der Mann in der
Lederweste.
Wie ein Pirat, dachte Tim.
Bart, Kopftuch um den schwarzzottigen Schädel und Freibeuter-Visage. Aber
wenigstens die Sonnenbrille könnte er abnehmen.
„Hallo!“, erwiderten TKKG.
Es gab Stühle, einen Tisch mit
Tinktur-Fläschchen, Poster und Fotos an den Wänden, die alle Tattoo-Muster
zeigten. Auch Berthold Prickner war an den entblößten Armen tätowiert bis zur
Schulter. Als er dann einen Teil der nackten Brust zeigte — weil die Weste
nicht geschlossen war — bewegten sich auch dort Drachen, Totenschädel, Fäuste,
Meerjungfrauen, flotte Sprüche und vollbusige Girls.
Wahrscheinlich, dachte Tim, ist
er sogar unter den Sohlen genadelt. Nur das Gesicht hat er sich freigelassen.
Vermutlich für ein Alterswerk von künstlerischer Reife.
„Ich hatte angerufen“, sagte
Tim. „Wegen des Interviews für die Schülerzeitung. Das sind meine Freunde Gaby,
Karl und Willi. Gehören alle zur Redaktion.“
„Na, wunderbar! Setzt euch.“
Berthold Prickners Stimme klang
wie eine elektrische Kaffeemühle, in der Schrauben zerkleinert werden. Als Typ
war er Abenteuer pur — zumindest gab er das vor. Trotzdem begriff Tim nicht,
wieso der Goldfasan Katja Schneider auf ihn geflogen war. Vielleicht protestierte
sie damit gegen die Nüchternheit in ihrem behüteten Elternhaus.
Die Stühle reichten nicht. Karl
setzte sich auf den Boden. Tim hatte Block und Kugelschreiber mitgebracht, aber
Gaby nahm’s ihm aus der Hand und übernahm somit das Protokoll.
Allen TKKGlern hatte — ungefähr
beim zweiten Blick auf Prickner — der Atem gestockt. Aus gutem Grund, denn auf
dessen linker Hand befand sich — neben und zwischen anderen Bildern — ein
Schlangen-Tattoo. Exakt das gleiche wie’s Theo Heisung, Edu Fischer und Jürgensen
auf ihren Vorderflossen vorweisen konnten — Fischer ausgenommen, der ja seit
der Explosion nur noch anderthalb Hände besaß.
Tim äugte scharf, aber
unauffällig und vermeinte, neben der Schlange die Nummer eins — die 1 — zu
entdecken. Wahnsinn!!!
Aber erstmal sollte Prickner
mit harmlosen Fragen geködert werden.
Tim beugte sich vor. „Wer, Herr
Prickner, hat das Tätowieren erfunden?“
„Das weiß niemand.
Tätowierungen gibt es seit grauer Vorzeit. Ursprünglich dienten sie wohl als Tarnung
bei der Jagd. Nach 1600 ist in Ostasien eine besondere Tätowierkunst
entstanden. Die war anders als die mittelalterliche hier in Europa. Hier ließen
sich Seefahrer tätowieren.“
Gaby schrieb mit. Tim stellte
die nächste Frage.
„Was geschieht beim Tätowieren?“
„Farbpigmente werden unter die
Haut gebracht. Das ist alles. Vor 1890 mit handlicher Nadel. Dann erfand Samuel
O’Reilly die elektrische Tätowiermaschine. Sie hat Elektromagnet und
Sprungfeder. Die besten Maschinen hat in unserer Zeit Paul Rodgers produziert.
Eine Rodgers ist der Ferrari unter den Tätowiermaschinen. Ich besitze zwei.
Sehen aus wie hässliche Handbohrer. Aber mit ihnen kann man Kunstwerke
schaffen.“
„Weshalb lässt sich jemand
tätowieren?“
„Weiß
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