Mit heißer Nadel Jagd auf Kids
Tim erwischte den 23er-Bus,
der in südlicher Richtung aus der Stadt hinaus und bis Blickendorf fährt - also
auch an der im Grünen gelegenen Internatsschule vorbei muss, in der der
TKKG-Häuptling während der Herbstferien geblieben war. Wiedermal, denn seine
Mutter, an der er mit großer Liebe hängt, ist in ihrer neuen beruflichen
Position ständig in aller Welt unterwegs. Manchmal lohnt sich daher für Tim die
Heimreise nicht.
*
Die Villa FS lag am Stadtrand.
FS stand für Friedrich Schneider, aber nirgendwo war ein Namensschild
angebracht: weder an den Naturstein-Pfeilern der Pforte, noch an der Einfahrt
mit dem schmiedeeisernem Tor, das nur auf elektronisches Signal reagierte.
Lediglich in die Metallstreben war auf der linken Seite ein F und in den
rechten Torflügel ein S kunstvoll eingelassen. Aber das konnte auch Fritz
Simpel heißen, Franz Sauerbruch oder Florian Schüttl.
Der Hotelkönig benutzte die
Villa eigentlich nie. Vor Jahren erworben, war sie meistens leer — jedenfalls
menschenleer. Möbel enthielt sie vom Feinsten. Schneider wohnte, wenn er hier
in der Stadt weilte, lieber im Grand-Hotel. Dort war der Service perfekt. Alle
rissen sich ein Bein aus, wenn der Chef, der Big Boss, der Hotelkönig in seiner
Suite, seiner Zimmerflucht residierte. Da konnten die Annehmlichkeiten der
FS-Villa nicht mithalten.
Außerdem hatte der Hotelkönig
seinen ersten Wohnsitz schon vor Jahren nach Monaco verlegt — wegen der
Steuern. Großverdienende Ausländer zahlen dort im Fürstentum nur minimale
Abgaben, weshalb sich dumpfbackige Sportgrößen oder Schauspieler und Stars gern
in dieser Warmzone ansiedeln. Begreiflicherweise. Denn wer 50 Millionen Mark im
Jahr verdient, dem ist nicht zuzumuten — könnte man meinen — , dass er die
Hälfte davon dem Staat, seinem Heimatland an Steuern entrichtet und sich mit
lumpigen 25 Millionen bescheidet. Unmöglich! Grauenvoller Gedanke! Wozu dreht
man denn die schnellen Runden als Luftverpester oder schmettert die Filzkugel
so gekonnt. Da ist man ja schließlich eine Art Halbgott/göttin und was für
einen Normalmenschen Recht und Gesetz ist, muss da nicht gelten.
An diesem frühen Nachmittag
befand sich der Hotelkönig Schneider in seiner FS-Villa. Die Rolls Royce
Limousine parkte hinter dem geschlossenen Tor und in den Bäumen zwitscherten
Vögel.
Im Obergeschoss der Villa hatte
Katja — Schneiders 19jährige Tochter — eins der rückseitig gelegenen
Schlafzimmer bezogen. Sie war gestern aus dem Krankenhaus entlassen worden —
nach dem Autounfall, den sie ohne TKKG nicht überlebt hätte. Aber Katja war
nicht als genesen entlassen, sondern auf eigenen Wunsch — vielmehr auf
Veranlassung ihres Vaters. Denn für die sommersprossige Blondine mit den
Tattoos hier und dort bestand — höchste Gefahr.
Jetzt lag Katja im Bett, hatte
Kopfweh und wollte nichts essen. Appetitmangel infolge der Gehirnerschütterung.
Schneider hatte sich einen
Stuhl herangezogen und achtete darauf, leise zu sprechen — um Katja zu schonen.
„Das hast du nun davon, Katja!
Von dem Geschmiere auf deiner Haut.“
„Vati!“ Ihre Stimme klang
gequält. „Das eine hat nichts zu tun mit dem andern!“
„Glaubst du?“
„Es geht um Tätowierungen. Das
ist die einzige Verbindung des einen mit dem andern.“
„Ich glaube, diese Verbrecher
sind nur auf dich aufmerksam geworden, weil du tätowiert bist.“
„Neiiiiiiin! Sie haben mich...
ausgewählt, weil du einer der Reichsten bist.“
„Andere Reiche werden nicht
erpresst, obwohl auch sie Töchter haben und Söhne. Aber die sind nicht
tätowiert.“
„Ich bin nur wenig tätowiert.“
„Geschmacksverirrung!“
„Berthold ist ein Künstler,
Vati!“
„Hah!“
„Seine Tattoos sind...
künstlerisch!!!“
„Aber im Gesicht möchtest du
solche Kunstwerke nun doch nicht haben, wie?“
„Ich stehe zu dem, was Berthold
macht. Er ist mein Mann.“
„Aber mein Schwiegersohn ist er
deshalb noch lange nicht. Über kurz oder lang wirst du einsehen, was für ein
Hallodri das ist. Dann trennst du dich von ihm, ihr lasst euch scheiden und der
Typ kommt mir nicht mehr unter die Augen.“
„Niiiiie!“
Schneider seufzte. Und dachte:
Sie wird es schon noch merken, wem sie da auf den Leim gegangen ist. Und der
Kerl weiß ja längst, was ich von ihm halte — nämlich weniger als nichts. Seit
sechs Wochen habe ich kein Wort mehr mit ihm geredet. Daran soll sich nichts
ändern.
Katja hatte eine Hand auf die
Stirn gelegt.
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