Mit Jockl nach Santiago
türmt. Neugierig geworden, steigen wir zwei oder drei Stockwerke hoch bis zu einer einfachen Tür mit demselben Zettel daran wie unten. Wir klopfen, öffnen unschlüssig die Tür - niemand da. Normalerweise wäre in diesem Fall Rückzug geboten, doch wir bleiben, womit wir diesem spontanen Hausfriedensbruch die Bekanntschaft mit einem der originellsten Heimatmuseen verdanken, die wir kennen. Die nachgebildeten Räume im Stile einiger zurückliegender Jahrzehnte muten so lebendig und authentisch an, als kehrten die Bewohner im nächsten Augenblick zurück, um ihr unterbrochenes Mahl fortzusetzen. Auch das sich anschließende Weinmuseum mit Informationen über alles, was den Rebensaft betrifft, finden wir schlichtweg super. Ein Monsieur in Arbeitskluft eilt geschäftig hin und her, nimmt aber keinerlei Notiz von uns, was uns nur bestärkt, uns alles in Ruhe anzusehen. Als wir am Gebäude nach der wahren Identität bzw. seiner Fassade forschen, stellen wir erstaunt fest, daß es sich um das stattliche Château von Boën handelt, zugleich eines der interessantesten Museen der Region überhaupt. Wir schauen auf die Uhr, die besagt, daß das Museum vor über einer Stunde geschlossen hat; der Eingang dazu befindet sich natürlich auf der Vorderseite, und kosten tut der Spaß auch etwas. Komisch, bei uns war das alles anders. Wir waren aber nicht betrunken!
In dieser Nacht müssen wir uns über Traumbahnen gegenseitig Kriegserklärungen übermittelt haben, oder unbekannte Mächte haben uns auf Zwist programmiert. Am Morgen - ein sehr schöner und nur mäßig kalter noch dazu - kreist eine allgemeine, knistrige Gereizheit unter der Zeltkuppel, die die ersten Worte des Tages in einen herausfordernden, schnippischen Ton kleiden. Jeder weitere Satz führt unweigerlich zur Sammlung der Truppen, bald fehlt nur noch das Kommando zum Angriff. Bis das Signal ertönt, täuscht jeder von uns nach außen hin möglichst überzeugend Emotionslosigkeit vor, während er innerlich weiterhin aufrüstet. Eigentlich möchte man ja Ruhe und Einklang - oder nicht? - doch diese werden solange auf sich warten lassen, ehe nicht das Gegenteil davon die Fronten klärt. Bis dahin: Schweigen! Ein immer gleicher Ablauf, den niemand von uns beiden vorzeitig abzubrechen versteht bzw. dazu gewillt ist. Als wir das mit Verkehr und Markttrubel überlastete Boën seinem Schicksal überlassen und unserem eigenen entgegenfahren - schweigend natürlich -, bremst Wolfgang kurz nach der Ortsausfahrt plötzlich ab. Der Grund: ein Eicher-Weinbergschlepper steht in einer Einfahrt, der Wolfgangs Aufmerksamkeit erweckt - nicht die meine. Dann Fortsetzung der Fahrt - schweigend! Von den Weinbergen um Boën dringen wir wieder in die seenreiche Flußniederung der Loire vor. Silbergraue Reiher staksen durch niedriges Schilfgras, Bussarde äugen reglos, auf Holzpfählen sitzend, über eine für uns ereignislos-müde Ebene; genau das richtige Umfeld, um unser Dahinbrüten zu vertiefen. Ob Pommiers, ein befestigter Miniatur-Ort zwölf Kilometer nordöstlich von Boën, den anwachsenden Keil zwischen uns lockern wird? Einiges spricht dafür, als wir zu mittäglicher Stunde durch das anheimelnde Bilderbuchdörfchen streifen, welches in seinem Kern wirklich nur aus einer romanischen Kirche, dem alten Pfarrhaus und einigen Häusern um einen kleinen, steingepflasterten Platz besteht. Mauern und Rundtürme eines ehemaligen Konventgebäudes schirmen das Dorf nach Süden hin wehrhaft ab. Unterhalb dieser Türme schlängelt sich ein Wiesenweg entlang, gesäumt von einigen zur Rasenbleiche ausgebreiteten Wäschestücken. Fast neide ich den Tüchern und Hemden ihr anspruchsloses Dalíegen, während intensives Bienengesumm die Luft mit einem brummigen Dauerton schwängert, bei dem man am liebsten in einen wohligen Schlummer hinübergeleiten möchte. Pelzige Hummeln schaukeln schwer an grazilen Blütenköpfen, und scheue Eidechsen huschen mit ruckartigen Bewegungen über sonnenwarmes Gemäuer, um dann blitzschnell in irgendeiner Ritze zu verschwinden. Wie einfach und herrlich diese kleine Welt zu beobachten, um so bedrückender ausgerechnet in ihrer friedvollen, heiteren Mitte an einem versöhnlichen Wort zu scheitern. Das Schweigen in Pommiers nehmen wir mit an die Loire, die wir bei Saint-Georges-de-Baroille im Bereich einer eindrucksvollen Flußschleife überqueren. Mit der Flußseite wechseln wir auch die Landschaft, die sich anschickt, in ersten Hügeln und wundervollen Tälern
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