Mit Jockl nach Santiago
punkto Campinggebühren nicht weiterhelfen. So reden und gestikulieren wir mit einer energischen Dame wohl eine Viertelstunde aneinander vorbei. Entnervt rügt sie dabei einen weißhaarigen Greis, der unsere Verständigungsbemühungen mit seinem senilen Gebrabbel dauernd unterbricht. Als letzte und beste Lösung hinterlassen wir unsere Adresse und einigen uns darauf, daß man uns die Rechnung nach Hause schicken wird. Als die Dame bei einem Blick durch die gläserne Eingangstür unseren Jockl sieht, sprechen ihre bebrillten Blicke Bände. Jetzt heißt es handeln, bevor sie einen Trupp des Zwangsjackenvereines herbeordert.
Nichts wie hinaus aus Saint-Anthème und in einer sieben Kilometer langen Anfahrt hinauf zum 1163 m hohen Col de la Croix de L’Homme Mort. Hier heroben fand Thomas Richard, Besitzer der Moulin Richard-de-Bas, den Tod; ermordet, als er sein Pferd besteigen wollte, um nach Lyon zu reiten. Nähere Umstände zu diesem Verbrechen sind uns nicht bekannt. Mit dem Paß haben wir auch eine weitere Grenze hinter uns gelassen und befinden uns nunmehr in der Region Rhône-Alpes. Nach Tagen durch nicht gerade berauschend schöne Landschaften eröffnen sich uns auf der kurvigen Strecke hinunter nach Montbrison wieder einige herrliche Kalenderblicke. Schwache Umrisse von Hügelketten am Horizont, letzte Reste von Frühnebel in schattig-dunklen Tälern, die von sonnigen Zungen noch nicht ganz aufgeleckt wurden und aus denen das Dorf Verrieres-en-Forez wie eine befestigte Insel herausragt. Die Stadt Montbrison am Fuße der Forez-Berge rückt schnell in greifbare Nähe. In Moingt, einem Vorort davon, bringen wir es nicht übers Herz, der romanischen Dorfkirche unsere Reverenz zu verweigern - vor vielen Jahren entdeckt, begegnen wir ihrer schlichten Eleganz mit derselben Bewunderung wie damals. Hingegen könnte man Montbrison sozusagen aus dem Programm nehmen, läge sie nicht gerade am Weg. Die Stadt besitzt zwar viel alte Bausubstanz mit einigen ansehnlichen Häusern, aber irgendwie fehlt der Zucker im Kaffee zu einem vollmundigen Genuß.
Diese fehlende Süße erhoffen wir uns bei einem Besuch von La Bastie d’Urfé, namentlich einer der schönsten Renaissancebauten des Forez. Auf dem Weg dorthin spicken ungezählte Seen, Weiher und Tümpel die Flußniederungen des Loire-Tales wie Käselöcher. Von einem Kilometer zum nächsten hat die Landschaft ihr Gesicht gewandelt, leider nicht unbedingt zu ihrem Vorteil. Ziemlich unbeteiligt an der Umgebung dieseln wir gegen Norden und halten angestrengt nach dem Schloß Ausschau. Umsonst, da es sich hinter einem langgezogenen Wald und einigen Baumgruppen versteckt und der erste Blick auf das Château bereits die Kassa am Eingang zum Schloßhof miteinbezieht. Erpicht auf die seit Montbrison vermißte Süße, reihen wir uns in eine kleine Besuchergruppe ein. Das gefällige Äußere des Anwesens mit seiner doppelstöckigen Galerie am rechten Seitenflügel verspricht zumindest den Wert einer Führung. Doch wie wir zum Schluß feststellen, lohnte die Besichtigung nicht einmal die paar Kilometer Umweg, die wir deshalb gemacht haben. Viel historischen Ramsch gab es zu sehen und eine scheußlich-kitschige Muschelgrotte, von der alle zu raunender Begeisterung hingerissen waren, diese feinen, honorigen Herren in ihren teuren Sportsakkos in Begleitung ihrer noch viel exquisiteren besseren Hälften. Sie alle hatten unsere Ankunft mit dem Jockl beobachtet und leicht indigniert unsere Teilnahme an der Führung zur Kenntnis genommen. Biederes, ungebildetes Volk in den Hallen des Honoré d’Urfé, wie unpassend, wie deplaziert. Genau, das finden wir auch, daß wir nicht recht hierher passen. Erleichtert über die Entlassung aus der schlößlichen Beklemmung nehmen wir unsere niederen Vergnügungen des Traktorfahrens wieder auf, die wir eine halbe Stunde später in Boën für heute auch gleich beschließen.
Das Ortsgeschehen von Boën, einem mittleren Marktflecken, leidet unter der N89, auf der sich nahezu pausenlos Schwerlastverkehr durch den Ort quält und die Häuser am Straßenrand eingräut. Da wir nichts brauchen und nichts bestimmtes vorhaben, lassen wir uns kreuz und quer durch den frühabendlichen Ort treiben. In einer Seitengasse enden unsere Schritte vor der dunklen Rückwand eines großen Gebäudes. Ein Tor steht offen, daran ein Zettel mit den Lettern »Musée de Vine«. Wir treten ein in ein ehemals feudales Treppenhaus, in dem sich im Erdgeschoß einiges an Gerümpel
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