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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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das Beaujolais anzukündigen.
    Als wir zwei Stunden später Amplepuis, eine hübsche Kleinstadt mit gleich drei Schlössern, von letzten Berghängen herabkurvend sichten, ahnen wir nicht, daß dort eine Stichflamme der Wut das Kommando zum gegenseitigen Angriff geben würde. Eine unwirsche Bemerkung. Eine sarkastische Antwort. Hieb auf Hieb und Stich auf Stich - kurz und treffend. Zu diesem Zeitpunkt befinden wir uns in einer strategisch denkbar ungünstigen Position, ausgerechnet vor Amplepuis’ bekanntem und sehenswertem Nähmaschinenmuseum. Nach einem Sekundengefecht mache ich angewidert Richtung Jockl kehrt, und Wolfgang besichtigt das Museum allein, das für zwei Sturköpfe unseres Kalibers eindeutig zu wenig Raum böte.
    Die zu erwartende Folge: erbostes Schweigen bis Cublize, acht Kilometer nordöstlich von Amplepuis, wo wir am Lac des Sapins campieren. Schweigen beim Zeltaufbau, Schweigen beim kargen Abendmahl, Schweigen bis es dämmert und dunkelt; ein Schweigen, das uns aufbläht bis zum innerlichen Zerplatzen. Und dann? - Entladung in einem gewaltigen Wortgewitter, einem Zischen und Drohen, einem Anschuldigen und Aufbrausen ohne klärendem Ende bis zur schieren Erschöpfung-
    Und warum? - doch wohl nicht wegen einer morgendlichen Gereiztheit. Die Sache gibt zu denken und wir dazu.
     
    Nichts tröstet mich in dieser schlaflosen Nacht, die sich träge bis zum Morgen hinzieht. In der aufkommenden Dämmerung wächst die Spannung erneut. Wer wird die ersten Worte sprechen? Wie werden sie sein? Von ihrem Tonfall hängt alles weitere ab: verletzende Ignoranz, Zynismus, gekränktes Schmollen, Gleichgültigkeit oder was auch immer. Der Sprengstoff liegt nach wie vor bereit, die Lunte muß nur gezündet werden. Sichtlich ausgepowert wie nach einer anstrengenden, schweißtreibenden Bergtour tasten wir uns zu einem Gespräch heran, das uns schließlich soweit befriedet, daß wir den Tag ohne Groll, wenn auch seelisch empfindlich angeschlagen und aufgewühlt, beginnen können.
    In Cublize trinken wir Kaffee und fahren nach weiteren versöhnlichen Worten ab. Unvorstellbar, daß solche emotionsgeladenen Ausbrüche, wie gestern, eigentlich alle unsere Urlaube, mit Ausnahme des ersten, kennzeichnen. Als müßten wir die geschluckten, unverdauten Reiberein unseres ständigen Beisammenseins gleich einer Eule ihr Gewölle in einem Riesenkrach hervorwürgen. Was wiederum nur heißt, wir haben aus diesem regelmäßig wiederkehrenden Schlagabtausch nichts gelernt, sind unfähig, erste Mißtöne beizeiten herauszufiltern und in andere Bahnen zu lenken, sie in Gesprächen aufzuspalten und damit unschädlich zu machen. Immer noch überschätzen wir unsere Toleranz und strapazieren sie über die Maßen. Auf jeden Fall, so deprimierend unsere Auseinandersetzung auch gewesen sein mag, ihr Abflauen läßt uns in einer erholsam gedämpften Stimmung zurück, aus der heraus wir uns gegenseitig mit einem bewußteren Empfinden behandeln.
    Geläutert sehen wir dem sonnigen Tag entgegen, der uns in vielen Kilometern weiter hinein ins Beaujolais bringt. Ein einsames Kurven durch stille Wälder in einem ständigen Auf und Ab mit gelegentlichen Stopps füllt die fast vierstündige Etappe nach Beaujeu, dem Hauptort des Beaujolais. Vom Col de la Casse-Froide rollen wir auf einem Teppich aus tanzenden Sonnenflecken ins Tal, dabei umschmeichelt uns ein lauschiges Lüftchen, gewürzt von den Düften spätsommerlicher Wälder. Schweigsam, wenn auch diesmal aus anderen Gründen, spüre ich in mir einen neuen Elan aufsteigen, und es ist, als sei die Welt an diesem Nachmittag eine Spur klarer, die Natur elementarer und der unleidliche Gedanke an das Ende unserer Reise absurder denn je.
    Beaujeu liegt eingezwängt zwischen den bewaldeten Hängen des Mount Tournissou auf der einen und den steil ansteigenden Weinbergen auf der anderen Talseite wie in den Erdboden versenkt, und nur Giebel und Dächer lugen keck aus der umgrünten Enge dieser Kluft. Der vielzitierte Charme von Beaujeu bezirzt uns nicht sonderlich, und dementsprechend kurz fallt unser Aufenthalt auch aus. Uns rufen die Weinberge mit ihren endlosen Rebstockreihen, die die Landschaft so markant prägen wie Spaniens Olivenhaine oder Mexikos Kakteenwüsten. Überall an den Hängen bücken sich bunte Gruppen von Erntehelfern nach dem Rebengold und Traktoren transportieren die reiche Ausbeute pausenlos in die umliegenden Weingüter, wo die saftig-prallen Träubchen nach ihrer Verflüssigung in den

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