Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
Vom Netzwerk:
nächste Schwung, die ihre Saison für beendet erklären, und bis spätestens Mitte und Ende Oktober wird sich das Gros der Campingplätze in Winterruhe befinden. Obendrein erweist es sich in diesen Wochen als nicht mehr besonders ratsam, sich punkto Öffnungszeiten auf die in einen Campingführer stehenden Angaben zu verlassen, denn so mancher Platzbesitzer macht seinen Laden einfach dicht, sobald mehr Blätter am Boden liegen als Camper in den Zelten. Jeden Abend in einen Campingplatz einzurollen, ist deshalb nicht selbstverständlich, sondern erfordert eine tagtägliche Tüftelei, um alles unter einen Hut zu bringen. Die Länge der zu fahrenden Strecke zu einem anvisierten und letztlich vielleicht doch geschlossenen Campingplatz muß sich in Jockl-Bereichen bewegen und natürlich die Liste unserer Sightseeings berücksichtigen. Um diesen Idealfall auszuschnapsen, helfen nur Geduld und Kompromisse.
     
    Die ersten 16 Kilometer des Tages fahren sich so langweilig wie gerade; wie mit einem Lineal gezogen verläuft die D906 nach Ambert, rechts der Dore-Fluß, links die Livradois-Berge, Teil des Forez- und Livradois-Regionalparkes.
    Wir haben es eilig, denn wir wollen noch beizeiten am Vormittag den Stadtrand von Ambert erreichen, wo sich auf dem Industrieareal vor der Stadt das Musée Agrivap, das sehenswerteste Museum für Landwirtschaftsmaschinen befindet, das wir kennen. Auch Leute, die bei alten Dampfmaschinen und Vorkriegstraktoren üblicherweise jedes Interesse abwinken, sollen sich nicht um das Vergnügen bringen und einen Blick darauf werfen. Angesichts der schmucken, glänzenden Schwergewichte werden sich auch bei ihnen unweigerlich Sympathien regen. Ein unglaubliches Kraftpotential lastet in ungezählten Tonnen auf dem Betonboden einer großen Halle, in der jedem der Dampfungetüme ein eigenes Separee zur Verfügung steht. Restauriert, lackiert, geölt und geschmiert harren die Raritäten wie Diven auf ihre ergebenen Verehrer, die sich im Vis-á-vis ihrer monströsen Raumfüllung schlagartig zu bedeutungslosen Zwergen verkümmern sehen. In einer zweiten Halle gegenüber geht es weit weniger ehrerbietig zu. Dort stehen rüstige Jockl-Verwandte - Traktoren aus den Wiegentagen ihrer Entwicklung - in einer vortrefflichen Runde beisammen, flankiert von Dreschmaschinen, Pflügen, Heuwendern und sonstigem landwirtschaftlichem Zusatzgerät. - Und last but not least lernen wir in einem dritten Bau, was man unter dem Begriff »Geflecht« zu verstehen hat, wenn es sich weder um Moose und Flechten noch um Korbgeflechte handelt. In unserem Fall finden die sogenannten Geflechte in Haushalt, Sport und Industrie in Form von Schnüren, Seilen, Kordeln, Kabelummantelungen usw. eine breitgefächerte Anwendung. Ihre Herstellungsweise, sowie einige dieser eigentümlichen Geflechtmaschinen bringen unseren Rundgang durch das Musée Agrivap zu einem überaus befriedigenden Abschluß. Währenddessen parkt unser Jockl im Hof direkt neben einer Dampfmaschine als gehöre er zum Museum und warte nur auf Einlaß zu den großen Pionieren. »Oaje Jockl, um durt drinnan z’steh, bist hoit do nu net oit gnuag!«
    Nach der nüchternen Stadtperipherie eignet sich die Altstadt von Ambert hervorragend zum Relaxen. In den schmalen Gassen mit ihren Fachwerkfassaden, schwebt spürbar ein wenig Nostalgie und es fallt nicht schwer, sich in Ambert mehrere hundert Jahre zurückzuversetzen, als die Stadt noch das Zentrum der Papierherstellung war und die zahlreichen Bäche im Umland des Forez rund 300 Papiermühlen Tag und Nacht in Schwung hielten. Davon hat leider nur eine einzige als »lebendes Museum« die fortschreitende Technisierung überdauert und arbeitet noch heute nach einem Papierherstellungsverfahren des 14. Jahrhunderts. Und eben dieser Mühle, fünf Kilometer östlich von Ambert, gilt an diesem Nachmittag unsere ganze Aufmerksamkeit.
    Die Moulin Richard-de-Bas versteckt sich abseits der Hauptstraße im stillen Val de Lagat, wo das stolze Anwesen wie ein Gutsherrenhof über dem bewaldete Tal herrscht. Wir kommen gerade noch zu einer Führung zurecht, nachdem uns Arbeiter der Mühle aus Neugier am Jockl einige Zeit dingfest gemacht haben. Die nächsten eineinhalb Stunden begleitet uns nebst einer kompetenten, sehr netten Museumsführerin der Geist des 1793 ermordeten Thomas Richard durch die Räumlichkeiten seines ehemaligen Besitzes. Die Runde beginnt mit dem Wirtschaftsbereich des Hauses, zu dem auch die Angestellten der Mühle Zutritt

Weitere Kostenlose Bücher