Mit Jockl nach Santiago
Adelsstand eines »Beaujolais« heranreifen. Wir tuckern so geschäftig über die grünen Berge, als seien wir am Ernteeinsatz beteiligt. Oft genug richten sich einige Pflücker aus ihrer Hexenschußhaltung auf und winken uns zu, was in uns ein beflügelndes Gefühl der Zugehörigkeit erzeugt. Je höher die Straße ansteigt, um so einzigartiger erleben wir diese geometrische Welt aus gewölbten und geneigten Flächen, überzogen mit unzähligen parallel verlaufenden Linien. Da jede Fläche in einem anderen Winkel an ihr Nachbarfeld grenzt, verbinden sie sich im gesamten zu einer lustig gemusterten, lebendigen Landschaft. Am höchsten Punkt tauchen wir erneut in Wälder ein, durch die wir einen kleinen Abstecher nach Avenas wagen, nicht sicher, ob es tatsächlich lohnen würde. Nun, es lohnt sich hundertmal. Avenas, ein 100-Seelen-Dorf, unberührt vom eifrigen Weinbau auf der anderen Seite des Bergrückens, zückt ihren kostbaren Trumpf erst beim Näherkommen: eine stämmige, kleine Kirche aus dem 12. Jahrhundert; exzellent restauriert und von wohlproportionierter, ganz bezaubernder Ausstrahlung. Ihr Inneres birgt einen steingemeißelten romanischen Altar - ein wahres Prachtstück -, der als bedeutendster Kunstschatz des Beaujolais angesehen wird.
Von Avenas zurück, stürzen wir uns regelrecht in ein Weinbergmeer, das wir zuvor vom Top-Aussichtspunkt dieser Gegend, der 660 m hohen La Terrasse, in grenzenlosen Blicken überfliegen. Läge nicht eine bräunliche Smogschicht über dem Saône-Tal, es wäre ein altmeisterliches Gemälde, das vom Standort des Malers ein Abwärtswellen grüner Hügel zeigt, die zur Saône hin verebben, dazwischen in honigfarbenem Licht das Spätnachmittags kleinere Dörfer, die vorwitzig aus sanften Tälern und Mulden spitzen. Unterwegs auf leeren, schmalen Sträßchen, anregend umflutet von warmer Luft, fühlen wir uns wie die Könige der Weinberge. Im Gewirr kleinster Verbindungswege veranstalten wir zwischen den Hügeln ein richtiges Weinbergrennen bis wir über kurz oder lang im Tal wieder auf unsere eigentliche Route stoßen und auf dieser gesittet in die Ortschaft Fleurie einfahren. Der örtliche Campingplatz erfreut sich - eine Seltenheit in letzten Tagen - zahlreicher Gäste: fast allesamt Wohnmobilisten auf Weinkauf-Tour. Schon möglich, daß nach hinlänglicher Verkostung im Moment mehr Wein hier im Camp lagert, als in einer gutbestückten Schloßkellerei. Prost!
Fleurie verabschiedet uns mit einem kleinen Samstagsmarkt, der bei unserem Aufkreuzen schon reichlich geplündert aussieht. Mit frischen Baguettes, Sables und Croissants in der Tasche kann uns das auch egal sein. Durch die Gasse zwischen Kirche und Café lärmen wir unter allgemeiner Aufmerksamkeit von Einwohnern und Touristen aus dem Ort in die Berge hinein, wo Edelkastanien und Walnußbäume bald die Rebenlandschaft ablösen. Kühe rupfen ihr Gras an abschüssigen Hängen, die nach oben hin von Wäldern begrenzt werden, die nahezu geschlossen die Bergkämme überziehen. Die Sonnenscheibe hängt krank und bleich hinter einer Dunstschicht, verwöhnt aber trotzdem mit sommerlicher Wärme. Baumgruppen und Wälder bestimmen die unmittelbare Umgebung, dort wo sie fehlen, geben sie Blicke zum östlichen Horizont frei, wo wir hinter einem diesigen Nichts irgendwelche Hügelkonturen zu erkennen glauben. Nach dem Col de la Siberie und dem Col de Gerbey, zwei niedrigen Übergängen in den Monts du Maconnais, die sich parallel zur Saône gegen Norden hin erstrecken, nähern wir uns in einem flotten Talwärts burgundischen Regionen.
Beim Château Pierreclos, einer mittelalterlichen Burg herrschaftlichen Gepräges rechts der Straße, wollen wir eine längere Pause einlegen. Die Zufahrt säumt eine herbstliche Allee, an deren Ende zwei Pfortnerhäuschen mit farbigen Dachziegeln ein barockes Schmiedeeisentor flankieren. Ein groteskes, zugleich entzückendes Bild, den Jockl für ein Foto als »Wochentagskabrio des Schloßgärtners« in der feudalen Zufahrt zu plazieren. Auf eine nähere Begegnung mit Pierreclos legen wir keinen Wert mehr, nachdem wir von einer notablen Madame etwas zu schroff auf die zu zahlenden Eintrittsgebühren hingewiesen werden. Na, was sonst - wir haben nicht angenommen, in diesem noblen Schuppen allein mit einem freundlichen Grinsen eingelassen zu werden. »Oiso, don hoit orewa Gnädigste!« Mit bereits gezücktem Portemonnaie und einem »Merci!« für die Auskunft machen wir auf dem Absatz kehrt und
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