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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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Himmel mit regenschwangeren Wolken für heute noch einige Duschen. Auf der bereits vorgestern befahrenen N20-E09, die vier Kilometer nach Cahors für 20 Kilometer als vierspurige Schnellstraße geführt wird, setzen wir eine ausgesprochen langweilige Fahrt fort. Erst bei der Abzweigung nach Montpezat-de-Quercy auf die D20 blockt ein Wandel in der Landschaft die sich anbahnende Schläfrigkeit ab. Weite Getreidefelder wechseln mit saftiggrünen Wiesen ab, Baumgruppen und kleine Wälder überziehen Teile eines harmonischen Hügellands; dazu setzen auf Kuppen liegende Dörfer mit ihren roten Ziegeldächern kontrastierende Farbklekse in eine toskanische Szenerie. Einzeln stehende Zypressen und Akazien verstärken den südländischen Akzent.
    Montpezat, der Grund unserer Abzweigung von der Nationalstraße, gewinnt erst bei einer näheren Dorfbesichtigung unsere zunehmende Bewunderung. Hinter Häusern mit nichtssagenden Fassaden entlang der Dorfstraße vermuten wir nie und nimmer ein wonniges Idyll. Gleich hinter dem eindrucksvollen Bau der Kollegiatskirche - in ihrer Massigkeit fast eine Schuhnummer zu groß für das kleine Montpezat - schmiegt sich in ihrem Schutze eine Handvoll Häuser um einen Hof, wie sie Spitzweg für seine Motive nicht besser hätte wählen können. Einer durchgehend überdachten Reihe Holzbalkone im ersten Stock verdanken die wenigen Häuser einen optischen Zusammenhalt; Blumentöpfe, gespannte Wäscheleinen, ausgelatschte Schuhe unter einem Fenster, ein buntes Blumenarrangement in einem alten Kessel und anderes dekorative wie praktische Requisit zeugen von der Bewohntheit des Viertels, das man aufgrund seiner einmaligen Gruppierung und Bauweise leicht für eine Außenstelle eines Freilichtmuseums halten könnte. Auch in anderen Gassen stoßen wir auf diese, wie gemalten, Kalenderansichten. Unsere Begeisterung hindert uns aber nicht an ständigen Kontrollblicken zum Himmel, wo bald eine übel aussehende schwarze Bedrohung heranzieht. Schnell, schnell zum Jockl, um dem gefährdeten Gebiet durch einen Blitzstart vielleicht noch zu entkommen. Zu spät! Wie nach einem Öffnen der Dammschleusen fällt das Wasser in schweren Aufschlägen vom Himmel. Unsere Rettung wird eine kleine Bar mit Tabakladen, in der eine rundliche Mademoiselle mit gelangweilter Lässigkeit unsere Alibi-Bestellung entgegennimmt. Die munteren Herren am Tisch neben uns bestreiten den akustischen Background und überzeugen uns einmal mehr, daß das wichtigste Gebäude eines Ortes eindeutig die Bar ist. Fast kommt es mir vor, als könnte erst ihr Vorhandensein die Entstehung eines Ortes ermöglichen. So wie früher Kirche und Wirtshaus eine zweckmäßige Symbiose für die Dorfkommunikation bildeten, so erfüllen heute Bar-Tresen eine ähnliche Aufgabe, freilich ohne einer zuvor vernommenen Moralpredigt von der Kanzel. Und nachdem die Dorfplätze des Landes, ehemals Treffpunkte für Klatsch und Tratsch, eine schleichende Umwidmung in Gemeindeparkplätze über sich ergehen lassen mußten, fällt den diversen Bar-Unternehmen nunmehr eine uneingeschränkte Drehscheibenfunktion zu. Umso mehr, wenn durch das zusätzliche Angebot von öffentlichem Telefon, Spielautomaten, Billardtisch, Mini-Supermarkt, Zeitungs- und Tabakladen dem Stehcafé mit Wirtshaustischen der Status einer unverzichtbaren Sieben-Tage-Serviceeinrichtung zukommt.
    Immer wieder treten wir auf die Veranda vor die Bar, um nach dem Wetter zu spähen, bis endlich das Regenrauschen zugunsten eines zaghaften Getropfes nachläßt und wir weiterfahren können.
    Keine zehn Kilometer und wir stehen schon wieder am Straßenrand, um uns sturmdicht zu verpacken, denn die nächste Schwarzfront treibt vom Westen heran. Nach einer guten Stunde, vorbei an traurig verregneten Sonnenblumenfeldern, lassen wir uns auf dem gänzlich verwaisten Campingplatz von Lafranchaise nieder. Daß wir mit unserem Eindringen doch keinen neuangelegten Gemeindefriedhof außerhalb des Ortes entweiht haben, entnehmen wir dem Vorhandensein eines halb Verkommenen Einmannzeltes. Auch die vermeintliche Aufbahrungshalle am Waldrand entpuppt sich zu unserer Erleichterung als sanitäre Anlage. Während wir schließlich unseren Jockl entladen, reißt der Himmel dramatisch auf, und Wolken und Licht reproduzieren vor unseren Augen Albrecht Altdorfers gemaltes Himmelsinferno über seiner »Alexanderschlacht«. Am späteren Abend überzieht leichter Niesel das Land, und in den ersten Morgenstunden tun dies kehlige Laute

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