Mit Jockl nach Santiago
kleinerer Mängel an unserer Ausrüstung benötigen, findet Wolfgang praktisch auf der Straße: Haken, Nägel, Muttern, Nirostaschrauben, Holzbohrer, Drähte und Schlauchklemmen) Schraubenzieher und Kettenglieder. Manchmal erfaßt mich schon ein leichtes Schaudern, wenn er während des Fahrens unschuldige Leitplanken mit eindringlichen Blicken fixiert - so viel Blech, so herrlich viel schraubiges und nietiges Zeug direkt neben der Straße. Schrott hin oder her, wir müssen weiter und zwar etwas hurtig.
Auf der Rennpiste der N21 machen wir gute Fahrt. Bald beginnt sich die bisherige Ebene leicht zu wellen und steigt kurz vor der Stadt Auch zu ordentlichen Hügeln an. Erhöhtes Verkehrsaufkommen deutet auf die Nähe der Stadt, die dann endlich hinter einer langgezogenen Biegung vor uns auftaucht, gekrönt von einem kolossalen Kathedralenbau, einem der letzten großen in Frankreich. Leider bedarf es einer größeren Irrfahrt durch die halbe Stadt, ehe wir dem Einbahnstraßensystem entrinnen können, in das wir uns zuvor versehentlich hineinmanövriert haben. Irgendwo erwischen wir dann mehr zufällig als ortskundig die richtige Abzweigung hinauf ins Zentrum. Gleich die ersten Minuten lassen unsere Gereiztheit abflauen, denn die Stadt, hoch über dem Tal der Gers gelegen, sprüht vor Lebendigkeit. Gewusel in den engen Gassen mit ihren kleinen, bunten Krimskrams-Läden; Allerweltspublikum, das sich auf dem großen Platz vor der Kathedrale tummelt; stark frequentierte Straßencafés und Bars; und im Tourist-Office - untergebracht im schönsten Fachwerkbau der Stadt - ein babylonisches Sprachengewirr über einem Sardinenbüchsengedränge verschiedenster Nationalitäten. Wir fühlen uns wohl, folglich dehnen wir unseren Stadtbummel und unsere Café-Sitzung aus, bevor wir mit einer Fahndung nach dem Campingplatz beginnen. Auch das klärt sich schnell; neben dem Sportplatz am Ufer der Gers beschließen wir bei aufkommendem Wind einen weitgehend sonnigen Tag. Als Betthupferl verraten uns Zeltnachbarn - Jockls neue Freunde -, daß sie uns bereits kennen! Uns? Von wo? - Aus dem Fernsehen, als uns drei ein Kameraschwenk vor einem Tour-de-France-Etappeneinlauf zufällig und von uns unbemerkt ins Bild brachte. - Wir sind platt!
Nachts bringt der Wind kurzfristig Regen, hat ihn aber bis zum Morgen wieder Verblasen, als wir unter freundlicher Verabschiedung des Campwarts und seiner belustigten Helfer starten. In dichtem Verkehr schleusen wir uns entlang der Gers in Richtung City. An der Monumentaltreppe, die von der Straße direkt zur Kathedrale hinaufführt, klinken wir uns für ein Foto aus und Wolfgang müht den Jockl über eine hohe Bordsteinkante zum Treppenansatz. Diese Widrigkeit wird von zwei Gesetzeshütern mitverfolgt und zieht auch gleich eine Rüge nach sich. Man läßt uns aber freundlicherweise fertigfotografieren, dann nimmst Wolfgang, ohne mit der Wimper zu zucken über den Gehsteig runter, daß die Bandscheiben nur so aufjaulen und reiht sich in einer flüssigen Wendung wieder in den Verkehr ein. Heute erleben wir die Altstadt weit weniger sympathisch mit nur spärlicher Bevölkerung 1111 Vergleich zur Unterstadt am Fluß, wo gerade Markt abgehalten wird. Ein böiger Wind wirbelt Staub durch die Gassen; selbst die Kathedrale sieht heute irgendwie schäbig aus, obwohl wir bereits gestern feststellten, daß ihr ein Facelifting nicht schaden könnte. Einstweilen sonnt sie sich nur im Glanz ihrer Größe und dem Besitz eines aus 1500 Figuren bestehenden prächtigen Renaissance-Chorgestühls, einem Wunderwerk vortrefflichster Holzschnitzkunst.
Leicht irritiert über die prompte Wandlung der gestern noch quirligen Stadt, dampfen wir bald ab. Zuerst auf der N124 ungefähr fünf Kilometer Richtung Condom, dann links ab auf die » Straße der Bastiden« nach Barran. Rumpliger Asphalt hält unsere Anatomie in Spannung und unser Reisetempo niedrig. Gleichzeitig trägt eine undramatische Landschaft mit Alleen, Getreide- und Sonnenblumenfeldern zu etwas Beruhigung bei. In der Bastide Barran planen wir bereits eine erste Pause. Wie durch eine Geisterstadt fahren wir in den Ort hinein. Wind fegt durch die Straßen und spielt lärmend mit leeren Plastikflaschen, Türen knarren in rostigen Angeln leerstehender Häuser, und neben uns klirrt dann tatsächlich noch eine Fensterscheibe zu Bruch. Mit geschlossenen Augen würden wir uns eher irgendwo im Wilden Westen vermuten - im verlassenen Dawson-City meinetwegen - als
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