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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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unseres eben heimgekehrten Nachbarn. Ihm also dient dieses zum Niedergang verurteilte Zelt als Heimstatt und offenbar auch als Musikraum. In den verbleibenden Stunden einer möglichen Nachtruhe läßt er seinen Kassettenrecorder ohne Unterlaß röhren und singt dazu in einer zur Verzweiflung treibenden Ausdauer alle Rock- und Blues-Evergreens, deren Texte sein alkoholdurchtränktes Hirn noch zustande bringt. Mit Verlaub und zur Ehre des Künstlers: Seine Stimme klingt trotz lalliger Angeschlagenheit nicht übel - Joe Cocker läßt grüßen!
     
    Der erste Blick aus unserer Jurte stolpert über Schuhe und Hausrat unseres Joe Cocker-Doubles, der im bald völlig eingeknickten Zelt seinen Rausch ausschnarcht.
    Lafranchaise, ein durchwegs nettes, sauberes Örtchen, hält uns nicht länger, als wir für den Kauf unserer üblichen Frühstücksration an Baguette, Croissants und Sables benötigen. Unter einem sich mehr und mehr aufhellenden Himmel kurven wir in frischer, klarer Luft nach Moissac, einer Kleinstadt in der Gascogne ohne besondere Ausstrahlung und eher provinziellen Gepräges. Daß sich dort trotzdem zu manchen Zeiten Reisegruppen und Solo-Urlauber gegenseitig ins Bild laufen, liegt an Saint-Pierre, einer großartigen romanischen Abteikirche. Mit ihrem monumentalen Südportal und ihrem herrlichen Kreuzgang, dessen 76 meisterhafte Schmuckkapitelle uns in eine Runde des Staunens versetzen, landet sie einen goldenen Schuß. Das Äußere der Kirche besticht durch ihren wehrburgartigen Charakter, der außer dem reich skulptierten Portal keinerlei dekorative Spielereien erlaubt. Umso größer dann die Überraschung der vielfältigen Motive an Narthex und im Kreuzgang, umso größer aber auch der Schock einer unrühmlichen, geradezu lächerlich naiven Bemalung des Kircheschiffes - ein seltenes Kontrastprogramm. Auf eine nähere Bekanntschaft mit Moissac verzichten wir leichten Herzens und verlassen die Stadt westwärts entlang des Tarn, wo wir nach dessen Mündung in die breite Garonne nach Süden abbiegen. Ein wahrer Obstgarten aus Bäumen mit Kirschen, Birnen, Aprikosen, Pfirsichen und Reineclauden erstreckt sich bis in die Gegend um Lavit. Allein unansehnliche Häuser und sanierungsbedürftige, klobige Gehöfte verderben den Anblick und dämpfen die Heiterkeit eines inzwischen sonnigen Sommertages. Doch auch das bessert sich auf weiterem Weg nach Lectoure. Als hätten wir bei der Abzweigung in Lavit eine andere Tür aufgemacht, durchqueren wir nun eine äußerst reizvolle Hügellandschaft. In leichtem Wind wiegen sich sanft Getreide- und Sonnenblumenfelder und rascheln Maisblätter, dazwischen duften große Gevierte rotviolettblühenden Klees und endlose, wulstige Reihen von Lavendelbeeten. Versprengte Weingärten und ein Bäumekunterbunt aus Walnuß, Roßkastanie, Feige, Zeder und Zypresse verleihen diesem paradiesischen Flecken eine besondere Note, ebenso ein Hauch von Knoblauch, den der Wind von Zeit zu Zeit an unsere Nasen trägt. - Einfach wunderbar! Größere Erhebungen krönen Zehn-Häuser-Dörfer oder Châteaux, die zwar ihrer ehemaligen Bedeutung beraubt, doch in ihrer ganzen Ausstrahlung noch nichts an Würde eingebüßt haben. Gute Beispiele hierfür bieten uns Château Marsac und das restaurierte mittelalterliche Schloß von Gramont. Beide verströmen adelige Aura inmitten stiller Orte, deren äußere Bescheidenheit nie derlei gräfliche Gemäuer vermuten ließen. Von Gramont sausen wir ein schmales Sträßchen ins Tal der Arrats runter und hinauf nach l’Isle-Bouzon. Eine romantische Verwilderung des Ortes im Blütendekor von Rosen, Clematis und Rittersporn lenkt uns kurz vom grauenhaften Straßenzustand ab. Bis kurz vor Lectoure müssen wir diese Rumpelei hinnehmen, ehe wir mürbegerüttelt in der Stadt eintrudeln, die unerwartet zu einem weiteren Höhepunkt des Tages wird.
    Lectours stolze Lage am Rande eines Felsplateaus ermöglicht Richtung Süden einen grenzenlosen Blick über das weite Tal der Gers. Nicht minder majestätisch präsentiert sich die allesbeherrschende gotische Kathedrale mit ihrem seitlich angebauten 45 m hohen, ungewöhnlich wuchtigen Glockenturm, der mit den übrigen Proportionen des Bauwerks hervorragend harmoniert. In kaum merklichem Gefalle führt eine mittelbreite Geschäftsstraße als Lebensader von der Kathedrale direkt zum Hotel de Ville. Obwohl an den Fassaden der Bürgerhäuser nur wenig Dekor glänzt, tragen sie mit ihrer Stattlichkeit, welche Reihen hoher, schmaler

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