Mit Jockl nach Santiago
uns auf dem sehr kleinen und deshalb fast ausgebuchten Platz ein mageres Fleckchen zwischen Wohnmobilen zu, das gerade für Zelt und Jockl langt. Der Regen hat sich zu einem Nieseln abgeschwächt, als wir unser feuchtes Zelt einräumen und gleich darauf noch einen Fußmarsch in die Stadt unternehmen. Der Samstagabendbelebtheit in den Straßen gelingt es, uns kurzfristig von unseren trüben Gedanken abzulenken, ehe sie ein erneut heftiger Guß wieder aufleben läßt. Zum einzigen Vergnügen des Tages wird die Fütterung einer der Lot-Enten, die ihrer Freßgier fast bis in unser Zelt folgt.
Der Gaskocher läuft bis in die späte Nacht hinein auf Hochtouren; vermischt mit seinen Geröchel und dem ewigen Geprassel über unseren Köpfen, erübrigt sich jede Unterhaltung. Im übrigen sind wir ohnedies damit beschäftigt, uns und unsere Habseligkeiten zu trocknen.
Das aufgeregte Geschnatter der Lot-Ente weckt uns aus unruhigem Schlaf; sie will partout jetzt ihre Frühstückshäppchen. Endlich eine Regenpause, dafür heulen die Hunde der Umgebung in allen Tonlagen. Wolfgangs seit Tagen schmerzende rechte Schulter - ein alter Muskelfasereinriß, der ihm hin und wieder einige Qualen bereitet - verdammt ihn heute nahezu zur Bewegungsunfähigkeit. Nur mit erheblicher Mühe gelingen ihm die morgendlichen Routinehandgriffe. Auch aufgrund dieser halben Krankmeldung einigen wir uns, den Aufenthalt in Cahors um eine Nacht zu verlängern.
Am späteren Vormittag - erste Sonnenstrahlen lassen uns Hoffnung schöpfen - spazieren wir über die Lot-Brücke in die Stadt hinein. Aber sie enttäuscht uns. Auf den Samstagstrubel folgt die Sonntagsleere - was sonst. Unglaublich, wie diese gähnende Leere und Aufgeräumtheit - gerade, daß die Gehsteige nicht hochgeklappt sind - eine ganze Stadt in einem Brei aus Langeweile und Lustlosigkeit ersticken läßt. Einzig um die Kathedrale Saint-Étienne entdecken wir etwas Leben: alte Frauen beim Kirchgang, drei Obdachlose auf Schnorrtour, einige Marktstände und mutmaßliche Sonntagsschlemmer mit goldgebackenen Baguettes frisch aus der Boulangerie. Nicht alle ofenwarmen Wahrzeichen Frankreichs erreichen die Frühstückstische unversehrt an Kruste und Teig. Manche ihrer Käufer quetschen sie erbarmungslos in die Gepäcksträger ihrer Fahrräder; die auf diese Art erzeugten abgeklemmten Wecken nennen sich dann ihrer Behandlung gemäß »strangulierte« oder »erdrosselte Baguettes«, das heißt, ich nenne sie so.
Zurück zur Kathedrale, einem ungeschlachten Bauwerk aus dem 11. Jahrhundert mit Umbauten und Veränderungen in fast allen nachfolgenden Jahrhunderten, was einem positiven Gesamteindruck nicht unbedingt förderlich war. Als besonders verwirrend an Saint-Etienne erweisen sich ihre beiden eigenwilligen Kuppeln, die im weitesten Sinne sogar Byzantinisches anklingen lassen. Doch so unharmonisch der Bau auch sein mag, verfügt er immerhin über ein bemerkenswertes romanisches Portal und - besonders erwähnenswert, wer Fratzengesichter liebt - eine Vielzahl von Grimassenköpfen als meisterhaft gearbeitete Kragsteine unter dem Kranzgesims.
Die anderen Sehenswürdigkeiten der Stadt reißen uns mit Ausnahme der mit drei Türmen befestigten Pont Valentré zu keinerlei Lobgesängen mehr hin. Das liegt zum Teil auch an den recht schmucklosen, einfachen Stadthäusern, die überwiegend aus dem 19. und 20. Jahrhundert stammen und die Cahors ungeachtet ihrer herrlichen Flußlage jeglichen Reiz absprechen. Wir fühlen uns überall verwaist und fehl am Platz, versuchen zwar unser Glück noch bei den Resten der ehemals gewaltigen Verteidigungsanlage von Cahors, an der sich die Engländer die Zähne ausgebissen haben sollen; aber seit dem Abzug der Briten tut sich hier anscheinend auch nichts mehr. Also stiefeln wir erschöpft zum Camp zurück. Wird auch Zeit, denn Regenwolken geben sich über der Stadt ein Stelldichein und begießen ihr prognostiziertes Zusammentreffen aufs heftigste.
Wolfgang verbringt die Nacht mehr im Sitzen als im Liegen; seine schmerztobende Schulter läßt ihn kaum zur Ruhe kommen. Mir ist nicht wohl zumute, als er am Morgen jeden Vorschlag eines Arztbesuches in den Wind schlägt. Also dann weiter in unserem Programm.
In der Stadt erstehen wir in einem Geschäft für Anglerbedarf noch eine Regenhose, damit Wolfgang sein mittlerweile undichtes Modell zum Müll werfen kann. Als wir abreisen, regnet es gerade mal nicht, doch so wie es aussieht, garantiert uns ein dunkelgrauer
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